Als vor etlichen Jahren MASKA GENETIK, das Projekt des Russen Amon Radek, auf Galakthorrö die Debütsingle „Quarantine“ veröffentlichte, hörte man melancholische Analogschleifen, dazu Vocals, die eher Trauer als Wut auszudrücken schienen und auf dem Cover weckte der bandagierte Körper Assoziationen an Rudolf Schwarzkogler: Hier trat der Künstler als Verletzter auf, als (Ver)Wunde(ter), als Schmerzensmann. Hatte man bei dem Labelkollegen von SUBLIMINAL den Eindruck, den Aggressor vor sich zu haben, so ließ sich MASKA GENETIK als Opfer sehen. Einige Zeit nach Veröffentlichung der Debüt-7′ wurde dann von Labelseite das Ende des Projekts bekannt gegeben, der Künstler schien aufgegeben zu haben. Nun erscheint fünf Jahre später der erste Longplayer, der 12 zwischen 2002 und 2005 aufgenommene Stücke enthält, und der gleichzeitig auch der Schwanengesang ist – das Memento Mori des Covers ist da sicher in mehrerlei Hinsicht passend.
Das kurze Titelstück eröffnet das Album: krachige Analogklänge, ein dezent pulsierender Beat, dazu die Stimme anklagend-verzweifelt. Nach etwa 90 Sekunden endet der Track völlig abrupt (ohne unfertig zu klingen) und erzeugt so ein Gefühl des Aus-der-Welt-Gerissen-Seins. Auf dem dann folgenden „Ernste Stunde“ wird Rilkes gleichnamiges Gedicht vertont: Es beginnt mit Melodien, die auf etwa Anfang der 80er erbauten Synthesizern erzeugt worden zu sein scheinen, dann setzen ein treibender Rhythmus und die gehetzt klingende Stimme ein; dabei wird die Entfremdung, die man in manchen Zeilen zu vernehmen glaubt, durch den starken osteuropäischen Akzent stärker betont, der Hörer in noch größerem Maße irritiert (man wird an Diamanda Galás’ Interpretation von Paul Celans „Todesfuge“ auf ihrem Album „Defixiones, Will and Textament“ erinnert). „Melanoma“ hat einen weniger starken Songcharakter, ist ein analoges Experiment. „Die Augen der Finsternis“ vereint Störgeräusche und verzweifelt-aggressiven Gesang. „New Perfect World“ dagegen kommt fast ohne Rhythmus aus, ist voller Melancholie, lapidar klingt der Sprechgesang, man könnte von resignativer Ironie sprechen, im vollen Bewusstsein, dass die perfekte Welt, die herbeigesehnt wird, allenfalls mit der Kraft der Verdrängung und Distraktion möglich ist. Hier fehlt bis auf eine kurze Eruption am Ende auch jedwede Aggression. Der in „Spring is Coming“ beschworene Frühling scheint im Kontext des Songs keine Ruhe mehr zu bringen, vielleicht weiß der Sprecher, dass der Frühling ein „schwarzer“ sein wird, wie es im folgenden Stück heißt. „Control“ kombiniert teils stakattohafte Störgeräusche mit Befehlsgesang („control yourself“ heißt es – unweigerlich muss man daran denken, wie eine andere Gruppe vor etwa drei Dekaden „Disziplin“ (ein)forderte). Ein martialisch klingender Titel wie „100 Years of Devestation“ besteht aus fiependen minimalistischen Störgeräuschen und verfremdeten Stimmen, hier haben die Maschinen scheinbar den Geist aufgegeben, bis schließlich der Drumcomputer einsetzt und das Stück zu Ende bringt. Auf „Home“ bleibt die Frage, ob der Künstler ein solches hat, offen. Allerdings klingt das Album mit dem Abschlusstrack „Bridge to Nowhere“ (zumindest musikalisch) versöhnlich aus (denn der Titel verheißt anderes), es wird sogar (fast) richtig gesungen, das ist ein Minimalelektropopstück mit Ohrwurmcharakter. „Strada“ ist – das sollte deutlich geworden sein – ein variantenreiches, von analogen Klängen dominiertes Album, auf dem man sich fortwährend in einer Inszenierung des Versehrtseins glaubt und man eigentlich nicht wissen möchte, was die titelgebende Ernte bringt. Aber natürlich bedauert man es dennoch oder gerade deswegen, dass ein Nachfolger ähnlich wahrscheinlich ist wie ein perfekter Tag.
(M.G.)