MUNLY & THE LUPERCALIANS: Petr & the Wulf

Das russische Märchen von Peter und dem Wolf ist von Beginn an stark mit dem Medium Musik verknüpft gewesen – ist sein Stoff doch keineswegs volkstümlich, sondern die Erfindung des bekannten Komponisten Sergei Prokofjew, der auch die Musik dazu schrieb. Wahrscheinlich ist diese Musik, die in erster Linie als Hintergrundmusik zur theatralischen Lesung des Märchens gedacht war, sogar den meisten Leuten bekannt, sei dies durch ihre Verwendung im Werbefernsehen oder durch zahlreiche Interpretationen von Walt Disney bis Reinhard Mey. Jüngst widmete sich der amerikanische Sänger und Banjospieler Jay Munly dem Stoff und gründete dazu sogar eine eigene Band: die Lupercalians.

Munly ist eine der schillerndsten Gestalten der berüchtigten Denver-Szene, die seit den 80ern für seltsam angeschwärzte Americana steht und sich eine ganz eigene Rubrik in der amerikanischen Subkultur erspielt hat, irgendwo zwischen Eckpunkten wie dem Altpunk und Meistersatiriker Jello Biafra (der viele der einschlägigen Alben auf seinem Label herausbrachte und auch das vorliegende veröffentlichte) und dem Produzenten Bob Ferbrache (der den Aufnahmen oft ihre klangliche Gestalt verleiht). Munly selbst zählt quasi zu den Urgesteinen der Szene, wirkte bei den legendären Denver Gentlemen mit und war/ist Teil von Gruppen wie DeVotschka und Slim Cessna’s Auto Club. Wer Munlys eigenen Arbeiten kennt und schätzt, der würdigt ihn sicher nicht nur als Musiker, sondern auch als versierten Geschichtenerzähler, und weiß um seine Vorliebe für verschrobene Konzeptalben zu typisch amerikanischen Themen. Oft sind es Themen, die gemeinhin als randständig gesehen werden, ohne es eigentlich zu sein, voll mit teilweise whitetrashigen Zitaten, deren Stellenwert meist einen großen Interpretationsspielraum zulässt. Der Galvanized Yankee von gleichnamigen Album, ein zwiespältig zu betrachtender Überläufer während des Sezessionskrieges, zählt zu den markantesten Hauptfiguren dieses Universums.

Eine ohnehin interpretationsbedürftige Parabel wie die von Peter, seinem Großvater und den sich gegenseitig überlistenden Tieren muss zwangsläufig das Interesse Munlys wecken, der den Stoff erwartungsgemäß umdichtet und als Geschichtenzyklus um eine fiktive Region namens Lupercalia mit allerhand archetypischen Symbolen auflädt. Im Unterschied zu den meisten bisherigen Interpreten packen die Lupercalians die Geschichte in folkige Alt-Country-Songs, bei denen die einzelnen Figuren ihre eigene Sicht auf die Ereignisse kundtun – mal in nachdenklichen Rezitationen, mal in schmissigen Strophen, bei denen ihr Hauptmedium – Munlys Gesang – seine beachtliche Variationsbreite und seinen Sinn für originelle Melodien unter Beweis stellt. Mit der ursprünglichen Musik des russischen Stoffs hat das Album übrigens wenig zu tun.

Die ersten drei Songs sind dem Fan natürlich schon aus einer Onlinecommunity bekannt (gemeint ist diejenige, die derzeit mit enormen Datenmengen und dem Flair eines Multimedia-Warenhauses ihre User vergrault), und ich muss gestehen, dass mir die schlichte klangliche Gestalt der halbfertigen Versionen fast noch mehr zusagte als die Albumfassungen, die aufgrund ihres stark raumorientierten Sounddesigns so plastisch wie kleine Reliefs erscheinen. Immerhin hält diese Eigenschaft, die die Songs teilweise wie eine edle Glasur überzieht, die Songs durchgehend zusammen: Gerade die einleitenden Stücke – “Scarewolf”, das einer Art Wolfsscheuche ihre Stimme gibt und den bösen Wolf mit zaghafter, beinahe furchtsamer Stimme als chimärenhafte Projektionsfläche entwirft, die fast heitere Polka in “Petr”, die den Helden einführt, und den Hit “Grandfather” – wirken dadurch wie eine untrennbare Einheit. An die Streicherpassagen im letztgenannten Song, die nur gelegentlich eingeblendet werden und den Kunstcharakter des Ganzen hervorheben, muss man sich eine Weile gewöhnen, gewinnender ist jedoch Munlys Markenzeichen par excellence, sein teilweise hämmernder Anschlag auf dem Banjo.

Der Stoff, die kohärente Produktion, gelegentlich wiederkehrende, verhallte Dronepassagen – allesamt Zutaten, die “Petr & the Wulf” als ein kompaktes, an keiner Stelle ausladendes und ausuferndes Album erscheinen lassen, in das sich die Vocals von Rebecca Vera und dramatische Drumpassagen nahtlos einfügen. In Fankreisen ist Munly natürlich längst Kult – dass er mit dem aktuellen Album auch hierzulande von einer größeren Hörerschaft wahrgenommen wird und so aus dem Schatten bekannterer Kollegen herauswächst, sei ihm von Herzen gegönnt. (U.S.)