MUSHROOM’S PATIENCE sind eine Legende, soviel ist sicher. Doch Dither Craf und seine Kumpanen zählen leider auch zu den unrechtmäßig unterschlagenen Geheimtipps experimenteller Musik, und wer sich angesichts dieser kürzlich bei Klanggalerie erschienenen Wiederveröffentlichung nicht flugs auf Schatzsuche begibt, der verdient mindestens drei Stunden Nachsitzen auf dem Eselsbänkchen.
Craf, von manchen auch Raffaele Cerroni genannt, kündigte im letztjährigen Interview bereits ein geplantes Comeback an. Es ist nicht der erste Neubeginn seiner Mitte der 80er in Rom formierten Gang, die sich alle paar Jahr aus dem Licht einer überschaubaren Öffentlichkeit zurückzieht, sich häutet, regeneriert und in neuer Gestalt inkarniert. Vielleicht ist die Wiederveröffentlichung der frühen Aufnahmen „Dicer’s Oath“ und „Eve and the Plastic Apple“ ja der Auftakt zu einer generellen Rückbesinnung zu den eigenen Ursprüngen, als die Italiener mit Funk und Fusion-Elementen gespickten Psychedelic Pop spielten. Schon auf diesen frühen Aufnahmen, die größtenteils live im Studio eingespielt wurden, ist zu erkennen, wie weit die Gruppe von jedem musikalischen Perfektionsstreben entfernt war und ist. Aber auch wie unwesentlich solche Leistungskategorien sein können, wenn es darum geht, intensive, berührende Musik zu schreiben. In “Eve and the Plastic Apple”, dem ersten und vielleicht einzigen Song der Gruppe, der so etwas wie ein Hit wurde, mündet der lässige Dilettantismus in eine wundersame Melodik, die das Paradiesische illustriert, dessen Unmöglichkeit der Text besingt. Vom Sündenfall bis zum endzeitlichen Helter Skelter lässt der Song mehr erahnen, als ganze Alben selbsternannter Kosmiker. Der Traurigkeit, die solchen Momenten zwangsläufig innewohnen muss, steht eine verdrehte Ausgelassenheit entgegen, die nur ein kauziger Oblomow wie Craf zustande bringt: „Blind Oculist“, das mit seinem wahnsinnigen Gelächter, seinen trunkenen Oboen und den hektischen Highhats wie eine Jazzparodie zum Höhepunkt einer Dada-Performance anmutet. Oder der funkige Stonerrock des Doppelstückes „Events/Tochero“, bei dem ich mich wieder frage, wie so viele Kenner sich so ein Juwel entgehen lassen konnten. Auch den irgendwann zu Hipstern mutierten Brainwashed-Leuten habe ich nie verziehen, dass sie MushPat (ebenso wie NOVY SVET, DBPIT, O PARADIS u.a.) übersehen haben. Vielleicht hätte da ja ein Vertrag bei Beta Lactam wunder gewirkt?
Ätzende Gitarrenriffs, röhrende Soli, bluesige Mundharmonika, Stimmexperimente. Craf parodiert den Sopran, und immer ist ein unterschwelliger Sarkasmus aus seinen humorigen Faksen herauszuhören. Erdende Bässe und entspannte Bläser spielen zur Siesta auf, doch der Schein könnte trügen. Die Sonne scheint, die Nacht ist vorbei, doch die Einsamkeit bleibt, so in etwa heißt es in „Grave Digger“. Bei „Flush“ hört man sogar noch die 80er Jahre heraus, die diese Band damals gehasst haben muss. “Pen and Paper” schließt mit schwermütigen Orgeln und fällt für einen kurzen Moment aus dem Rahmen, doch der Jazzbass und die entspannten Bläsermelodien holen den Song zurück in vertrautes Mushroom’s Patience-Land. Die zweite Hälfte der CD enthält Songs, die bisher auf Tape oder auf einer Compilation zu hören waren. Sie führen den groovige Pfad weiter entlang, doch hört man (wie etwa bei „Fly Together“) eine schwärzere Note heraus, und auch in gelösteren Augenblicken wie bei „Terminal Water“ gibt es nichts umsonst, denn der Text entwirft ein zwischenmenschliches Szenario der Angst. Aber gespielt wird auch hier, und zum krönenden Abschluss gibt es einen lupenreinen Italofolksong, der ursprünglich zu Crafs Solo-Repertoire gehörte: So hätte GRUPPO FOLK URBANO SPERIMENTALE DIVISIONISTA klingen können, hätten sie bekömmlich klingen wollen. Gut, dass es anders war, aber im Dreiminutenrahmen ist es toll. Banjo, Gitarre und eine großartige Melodie voller Wehmut und fast schüchterner Lebensfreude.
Zwei Alben, ein Sound und im Grunde fast so etwas wie die perfekte Platte für einen stilvoll verbummelten Sommer. Dither Craf und seine Leute benannten sich ursprünglich nach dem Gefühl, Teil einer „Lost Generation“ zu sein. Dennoch sind sie ein unvergängliches Kraut. Mögen ihn manche auch übersehen, andere seine Musik geringschätzig verramschen, manchmal ist die Welt eben doch gerecht, und Größe und Schönheit haben ab und an das letzte Wort. Und genau deshalb gibt es Mushroom’s Patience noch heute. (U.S.)