Man mag von Folkbands mit sehr starkem Rekurs auf die Jahre um 1970 halten, was man will – neben den bereits vorgestellten TREMBLING BELLS und Sängerinnen wie SHARRON KRAUS haben auch THE OWL SERVICE das Potenzial, Anhänger von Veteranen wie THE PENTANGLE, TREES oder MELLOW CANDLE positiv zu überraschen. Nur soviel zu den obligatorischen Vergleichen, die man schlecht unter den Tisch fallen lassen kann, zumal Alison O’Donell von letztgenannter Band an den neuesten Aufnahmen mitgewirkt hat.
Nach einer EP namens „The Burn Comes Down“ ist „The View Fron A Hill“ der offizielle Nachfolger des Debütalbums „A Garland of Songs“ und zugleich der zweite Teil einer Reihe namens „The Pattern Beneath The Plough“, die mit einer 7” und einer weiteren EP zum Abschluss kommen soll. „The View…“ enthält ausschließlich Neuinterpretationen traditioneller englischer Songs, die bereits im besagten Folkrevival vor rund vierzig Jahren ihre Umsetzung fanden. Doch wenngleich die musikalischen Referenzen auf diese Zeit ebenso stark sind wie auf dem Debüt, fällt doch ein weniger süßlicher und angenehm unverkitschter Ton auf. Insgesamt lebt das Album sehr stark vom Spannungsgefüge aus sauberer Produktion und einer dennoch urigen Atmosphäre, welche die sieben Engländer und ihre Helfer (neben O’Donell u.a. Joolie Wood) ihrem üppigen Instrumentarium aus Streich-, Zupf-, Blas- und Perkussionsgeräten zu entlocken wissen.
Auf der einen Seite gibt es kraftvolle, beinahe feierliche Stücke, bei denen Sängerin Nancy Wallace klare Stimme besonders zur Geltung kommt. Sie rufen die Aufbruchstimmung in Erinnerung, die das große Folkrevival damals begleitet haben muss. Teilweise haben sie cineastische Qualitäten, wie beispielsweise das eröffnende „Polly on the Shore“, das die Sammlung mit erdigem Cello, Trommelrollen und erwartungsvoll stimmenden Rasseln einleitet, oder „Willy O’Winsbury“, das in zwei Versionen vorhanden ist, von denen man eine von Paul Giovannis Interpretation aus dem „Wiccer Man“-Film kennt. Andere Stücke weisen eine eher spröde Urigkeit auf, wie das sarkastische a capella-Stück „Sorry the Day I was Married“, ein vermutlich irisches Traditional über die Leiden und Monotonien der Zweisamkeit. Oder „Ladies, Don’t Go A-Thieving“, das viele Eigenschaften hat, die man gerne dem amerikanischen Folk der Apallachian-Tradition zuschreibt ohne zu ahnen, wie englisch sie eigentlich sind. Mit „The Loyal Lover“ gibt es jedoch auch Songs, die mit klarer Stimme und betörender Melodik an die harmonischen Highlights der ersten Stunde anknüpfen, an „North Country Maid“ oder ihre Version von „The Rolling of the Stones“. Mit „The Bold Poachers“ ist sogar so etwas wie eine Rockballade mit im Programm. In dieser Vielgestaltigkeit sollte „The View…“ ein reizvoller Anlass sein, in die Welt des englischen Folk einzutauchen. Gerade das schön gestaltete und informative Booklet machen die Platte vor allem als physischen Tonträger besitzenswert.
The Owl Service spielen eine Variante des Folk, die heutzutage über den reinen Hörgenuss hinausgehend auch eine stark bewahrende Funktion hat, allerdings nicht als Selbtzweck, denn die Ausdrucksstärke einer solchen Musik und ihre Fähigkeit, auch in neue Kontexte zu passen, ist auf “The View..” allerorts evident. Lobenswert daran ist zudem die angenehm unprogrammatische Umsetzung, die weder eine projektive Vergangenheit idealisiert, noch einem allzu verkitschten Scheinidyll erliegt. Das ist freilich noch lange nichts für Fachleute, für die die Brechung das Maß aller Dinge ist. Schön, dass Mojo und einige andere da eine Ausnahme bilden. (U.S.)