Ein Festmahl mit Raubtieren – eine ebenso reizvolle wie bedrohliche Situation, bei der es zwangsläufig vom Wesen des einzelnen abhängen muss, welche der beiden Empfindungen als stärker wahrgenommen wird. Im spätviktorianischen England, als dekadente Ausschweifungen vor der Fassade bürgerlicher Prüderie gerade einen rebellischen Geist versprühten, bezeichnete man mit dieser Wendung eine konkrete Situation. Es ging um die Neigung reiferer Herren, sich die Gunst weniger betuchter Jünglinge zu erwerben. Und um das Risiko, dadurch Opfer eines Skandals zu werden.
Schließlich konnten die Eskapaden schneller ans Licht der Öffentlichkeit kommen, als dem Gentleman lieb war. Und oft war es gerade die Angst und der Nervenkitzel, die dabei als besonders erregend empfunden wurden. Oscar Wilde, dem eine ähnliche Situation bekanntermaßen einmal zum Verhängnis werden sollte, betonte gerne, wie belanglos ihm der herablassende Spott seiner konservativen Zeitgenossen war, und gebrauchte die Formulierung “Feasting with Panthers” an einer Schlüsselstelle seines Werks. Poptheoretiker weisen gelegentlich darauf hin, wie sehr in den vielzähligen Folgeerscheinungen des Punk etwas von der ästhetizistischen Dandykultur des späten 19. Jahrhundert neu zum Leben erwacht ist. Die filigrane Weiblichkeit des Jugendstils, der androgyne Charme des versnobten Flaneurs; in Absinth getränkte Schmerzlust und ein Befinden zwischen ausschweifender Regression und dem Bewusstsein einer drohenden Endzeit. Wenn es in den letzten dreißig Jahren musikalische (Gegen)-Kulturen gab, in denen dieser Geist des Dandys erneut zu spüren war, dann in dem weiten Feld zwischen New Romantic, Wave und endzeitlich dunkler Folklore. Ein Sänger, dessen Wurzeln unter anderem in jenen Genres zu finden sind, hat sich immer wieder mit den Mythen der Dekadenz und ihren Spuren im 20. Jahrhunderts befasst: Marc Almond. Er nahm ein Album mit dem Titel “Absinth” auf, vertonte dabei unter anderem Baudelaire und Rimbaud. Spuren der Decadence finden sich zuhauf in seinen eigenen Texten, für eine gewisse Zeit liebäugelte er gar mit dem Satanismus.
Es war David Tibet, der ihn vor einigen Jahren mit dem Werk des aus Litauen stammenden Dekadenzdichters Eric Count Stenbock bekannt machte, einer schillernden Figur, die die Themen der eigenen Poesie auch im Alltag auslebte und somit die Grenze zwischen Kunst und Lebenskunst verwischte. Alkohol und Opium, okkulte Obsessionen, homoerotische Abenteuer. Eine Holzpuppe, an deren Beseeltheit er glaubte, als ständiger Begleiter. Ein frühes Ende nach einem rauschhaften und zugleich lichtscheuen Dasein. All dies sind Aspekte seines Werks und Eckpunkte einer Biografie, die wie geschaffen schien, einmal das Interesse Almonds zu wecken. Vor zwei Jahren erschien dann eine kleine EP namens “Gabriel and the Lunatic Lover”, in der zwei merkwürdige Liebesgedichte Stenbocks vertont wurden, seltsam meditative Akustiksongs, in denen es um wahnhaftes Begehren und kleine „orale“ Paradiese ging. Almond nahm das kleine Juwel mit prominenter Unterstützung auf – mit auf dem Cover stand der in Friedrichshain lebende Michael Cashmore, Gitarrist und Schöpfer impressionistischer Klänge, dessen einst tragende Rolle bei Current 93 längst legendär ist.
Bei der EP sollte es nicht bleiben, und schon kurz darauf sprachen beide von der Idee eines ganzen Albums, auf dem dekadente Gedichte von Paul Verlain, Jean Genet, Jeremy Reed und anderen in Kunstlieder verwandelt werden sollten. In einem Zeitraum von über zwei Jahren widmeten sich Almond und Cashmore nun räumlich getrennt ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die Lyrik – während der Sänger in London die Texte einsang, feilte der Komponist in Berlin am musikalischen Rahmen. Immer wieder schickten sie sich die Zwischenergebnisse zu, und am Ende ist dieses Album dabei heraus gekommen, bei dem man sich wundert, wie stimmig es trotz der räumlichen Distanz doch ausgefallen ist. Obwohl es bei “Feasting With Panthers” keineswegs um musikalische Perfektion geht, fällt die Stimmigkeit nicht nur von Gesang und Begleitung, sondern auch der einzelnen Instrumente untereinander auf. Cashmore hat nicht nur die komplette Musik komponiert, er hat auch alle Parts selbst eingespielt. Ja – gewissermaßen ist das Puzzlearbeit, Reisbrettmusik, aber das Tolle daran ist, dass man es dem Endresultat kaum anhört.
In Genets “The Thief and the Night” vermag Cashmore ein kleines Trio zu ersetzen, liefert Piano, Drums und einen dunklen Dronesound ab, als perfekte kammermusikalische Grundierung für Almonds manierierten Gesang. Das Piano klingt hell, fast wie auf Cashmores Kollaboration mit Antony Hegarty, und doch bekommt es durch Almonds leidenschaftliche Schwermut eine andere Farbe, wirkt kraftvoll trotz aller Schwärze. Wenn in der Mitte des Songs das Schlagzeug einsetzt, scheint es dies untermauern zu wollen. Setzt die Schwermut hier an einigen Stellen recht plötzlich ein, so ist die Gitarrenballade, die aus Stenbocks “Sonnet XI” entstanden ist, durchgehend lieblich. Jahre der Sehnsucht, ein endlich in Erfüllung gehender Wunsch, das sind die Themen, die der Marc Almond-Fan zur Genüge kennt. Und wer dessen ganz eigene Melodramatik liebt, der weiß längst, dass der Sänger ihr eine Tiefe zu verleihen versteht, die über peinlichen Kitsch erhaben ist. Das fängt auch die euphorisierte Traurigkeit in Paul Verlains „Crimes of Love“ auf, bei der Almond Versen wie „the countyside blooms with roses, the night is a diamond“ seine Stimme leiht – typische Zeilen des vielleicht romantischsten der französischen Dekadenzdichter. Aus dem provokanten Paradiesvogel der Soft Cell-, Mambas- und Willing Sinners-Zeit ist jedenfalls längst ein lebenserfahrener, freundlicher Ironiker geworden, selbstverständlich jung wie eh und je – “the eternal boy”.
Aber nicht nur die bekannte Stimme prägt das Pantherfest, auch die Musik hat ihre ganz eigene Qualität. Wenn immer ich Kompositionen von Cashmore höre, bekomme ich den Eindruck eines Menschen, der sich sehr für feine Muster interessiert, kollagenhafte Muster, die trotz ihrer Schlichtheit eine Vielzahl winziger Details enthalten und am Ende den Eindruck einer gewissen Symmetrie erwecken – einer faszinierenden Symmetrie, weil sie nur an der Oberfläche existiert und ihre Vielgestaltigkeit gar nicht zu leugnen sucht. Das offenkundigste Zeugnis dafür sind Cashmores selbstgestaltete Cover einiger Solo-Alben. Sie scheint von einem vordergründig introvertierten, im Kern aber aufgeschlossenen Charakter zu zeugen, von einem Menschen, der sich hinter dem glamouröseren Sänger Almond keineswegs verstecken muss. Gerade mit diesem Gespür und der Leidenschaft für Details hat der Komponist auch dieser CD ihren Stempel aufgedruckt. Schon die Anordnung der Songs zeugt von einem Sinn für sensible Strukturen, was manchen sicher nur unbewusst auffällt, anderen vielleicht pedantisch erscheinen mag. Letztlich schafft sie aber eine Kohärenz, die einigen der hitverdächtigeren Alben von Almond fehlt. Colin Potter (u.a. Nurse With Wound) war es dann, der als Produzent für den finalen Feinschliff sorgte.
Es wäre sicher übertrieben, die Stücke in Songtypen einzuordnen – romantische Kunstlieder, die sich mit Songs von Antony oder Rufus Wainwright messen können, sind sie alle. Doch die unterschiedlichen Komponenten treten von Song zu Song verschieden stark hervor. So gibt es rockige Momente wie in Reeds „Boy Cesar“ oder dem finalen Titelsong aus der Feder eines Rob Zander. Dann schlicht Wohlklingendes, wie das schon bekannte „Gabriel“ Stenbocks oder „The Patron Saint of Lipstick“ (Reed), dessen Umsetzung an Bill Fay denken lässt, den beide schätzen. Entspannte Singer Songwriter-Balladen sind „Hotel de France and Poetry“ (Cocteau) und „The Sleeper in the Valley“ (Rimbaud), bei dem Almond ein weiteres mal eine seiner Lieblingsfiguren, den Beautiful Loser besingt. Sie wechseln sich ab mit emotional aufwühlenden Chansons wie „The Song of the Unweapt Tear“ und „El Desdichado“ (beide nach Jean Cocteau). Diese Komponenten bilden die größeren Eckpunkte einer Klanglandschaft, in der jeder Ton an der richtigen Stelle ist, und ein einzelner Klang bisweilen wie ein bitterer Tropfen Wermut einen ganzen Song verwandelt und verzaubert.
“Feasting With Panthers” braucht seine Zeit, es bietet weniger Kurzweil als das letztjährige „Varieté“. Ist man bereit, sich auf die Musik und die Texte einzulassen, so entfaltet sich ihre Schönheit nach und nach und wächst mit jedem Hören. In Almonds Diskografie wird es vielleicht einen Platz einnehmen wie einst “Jacques” oder “Absinth” – als Ausdruck eins introvertierteren, dunkleren Almond, den man weniger auf Hitalben wie “Tenement Symphony” und “The Stars We Are” fand. Eine Neuerung ist die ausdrückliche Hervorhebung eines einzelnen Weggefährten, und dies zurecht. Michael Cashmore hat mit diesem Album den Beweis erbracht, dass er weit mehr ist als eine graue Eminenz. (U.S.)
Label: Cherry Red Records