Das Gesamtwerk von Nurse With Wound ist ungemein vielgestaltig. In den ersten Schaffensphasen, in der Zeit der späten 70er und frühen 80er, trat Stephen Stapleton (zunächst mit Band-Verstärkung) mit einem opulenten und ereignisreichen Kollagensound an die Öffentlichkeit, kombinierte dabei bedrohlich klingende, zum Teil brutale Dunkelheit mit einem Faible für Triviales. In dieser Zeit bildeten sich mehr oder weniger alle Imagkomponenten des Projektes heraus, angefangen von einer absurden Ironie nach Dada-Art über einen surrealen Sinn fürs Überrationale bis hin zu einem in der allgemeinen Wahrnehmung oft unterschlagenen Hauptthema der Band: Die Erotik in all ihren abgründigen Facetten.
Auf eine gewisse Weise ist Nurse With Wound jüngst unter veränderten technischen Gegebenheiten zu diesen Wurzeln zurück gekehrt. Die rasante Soundmontage von “The Surveillance Lounge” verhält sich zu Klassikern wie “Insect and Individual Silenced” in etwa wie das poppige “Huffin’ Rag Blues” zu der frühen Lounge-Dekonstruktion “Sylvi and Babs Hi-Fi Companion”: Man zeigt, dass man noch immer in der Lage ist, die wüstesten Kollagen zu zimmern und sie, wenn man will, sogar ohrenfreundlich zu gestalten. Und, dass man vor allem mit Leidenschaft dabei ist. Mit Liles, Potter und Waldron im Boot hat sich das Projekt des in Irland lebenden Künstlers auch wieder ein Stück in Richtung Band bewegt.
Über weite Zeiträume der 80er und 90er hinweg sah dies anders aus. Neben einzelnen Experimenten mit Jazz- und Krautrock-Elementen konzentrierte sich Stapleton auf die ausladende Auslotung von Statik, und ich kann diejenigen verstehen, die eine gewisse Beliebigkeit und einen Hang zum Inflationären kritisieren, oder sich mit der eher spröden Gestalt von Klassikern wie “Soliloquy for Lilith” oder “Thunder Perfect Mind” schwer tun (natürlich wäre es nun ein Leichtes, unter den zahlreichen Veröffentlichungen dieser Ära das eine Werk hervorzuheben, dass durch eine so abrisshafte Beschreibung zu Unrecht unterschlagen würde, ich selbst würde eine Lanze für „Spiral Insana“ brechen). Als um die Milleniumsjahre wieder mehr Bewegung in den NWW-Kosmos kam, stach neben dem vitalen Mammutdrone “Salt” und dem wohlklingenden “An Awkward Pause” auch das auf den ersten Blick konzeptuell schwer greifbare “Acts of Senseless Beauty” heraus, eine Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Irland lebenden böhmischen Violinisten Peter Vastl, der unter dem Namen Aranos firmiert. Dieses Gemeinschaftswerk, bei dem einige weitere Personen wie Earthmonkey alias Peat Bog und Current 93-Kollaborateur David Kenny im Studio vorbeischauten, wurde nun als Doppel-LP wiederveröffentlicht. Ergänzt wurde das Album durch eine Seite mit bislang unveröffentlichtem Material sowie durch zusätzliches Artwork von Stapletons Sohn Luke.
„Acts of Senseless Beauty“ versammelt sechs Klangobjekte, die den Raum wie eine Gaswolke ausfüllen und vielfache Assoziationen wecken. Verbindendes Element ist Aranos’ Violine: Wie ein roter Faden zieht sie sich durch die gesamte Veröffentlichung, verheddert sich von Zeit zu Zeit in loophaften Wiederholungsstrukturen, um danach völlig entfesselte Klangfiguren zu krackeln oder in grummelige Statik zu verfallen. Stets abstrakt bleibend, lässt das Instrument doch immer wieder Vertrautes anklingen: “Ether Open or Unsound” erinnert streckenweise an einen verzerrten Hochzeitsmarsch, offensichtlicher noch sind Reminiszenzen an fantastische Filme der Stummfilmära. Auch das visuell implizierte Albenkonzept kreist um ein fantastisches Motiv, laut Labelinfo geht es um “[the] humanisation of fish in rivers and bodies of water surrounded by large clots of humans”. Man kann darin einen metaphorischen Kommentar sowohl auf die Vermenschlichung als auch auf die Zerstörung von Natur sehen, man kann es aber auch sein lassen und sich schlicht an einem Stück humoriger Jack Arnold-Popart erfreuen.
Verrauschte Chöre und dumpfes Dröhnen sind Stapletons Beitrag dazu und umgeben die Violinspuren wie eine Schicht aus leicht rostiger Stahlwolle. Sie lassen die Assoziationen wie ironische Zitate anmuten – ein Ironie allerdings, die bei NWW ganz selbstverständlich zum Zug kommt, die nicht einmal intendiert sein muss, und die wenig mit einer aufdringlichen Fast Food-Ironie gemein hat, die im urbanen Kunst- und Fashion-Zirkus als Postmoderne für Arme so langsam zu langweilen beginnt. An einigen Stellen tritt Aranos in den Hintergrund und überlässt Stapleton und den anderen die Bühne. Bei „Bloodclot“, dem dynamischsten Stück des Albums, schreckt Peat Bog den Hörer mit ekstatischer Perkussion aus der Lethargie auf, die das hintergründige Grollen bewirkt. Ebenfalls aus dem Rahmen fällt eine witzige Exkursion in loungige 70er Easy Listening-Gefilde, bei der merkwürdige Schlümpfe ein unverständliches Lied intonieren.
Die naiv-folkigen Fische auf dem Artwork, die vertrauten Melodien auf der Violine, die Trommeln, der Fakescore eines imaginären Giallo-Filmes – all dies weckt Assoziationen zu diversen Stationen der Low Brow-Kultur. Weckt sie, und lässt sie liebevoll ironisch zu Staub zerfallen, hermetisch wie ein absurder Spaß. Ein Akt sinnfreier Schönheit eben, die man nun wieder auf zwei transparenten Vinylscheiben genießen kann. (U.S.)
Label: Tourette