ZOLA JESUS: Conatus

Ich muss gestehen, dass es mir nicht leicht fällt, mich auf eine druckreife Meinung zu Nika Roza Danilova und ihrem Projekt Zola Jesus festzulegen. Da waren Momente der Begeisterung, als ich irgendwann in der Zeit vor ihrem “Stridulum” genannte Durchbruch auf diese dumpf verrauschten Aufnahmen gestoßen bin, auf denen kompromisslose Lofi-Attitüde und feinfühlig-coole Melancholie eine merkwürdige Allianz eingingen. Alles wirkte geheimnisvoll, fast urig, und doch auf die ganz eigene dreckige Art chic. Musik, die einem aus einem Kellerfenster irgendwo in einer grauen Chicagoer Seitengasse entgegen schallen könnte. Dass die junge Frau sich gelegentlich im Universum von Burial Hex blicken ließ, unterstrich ihre schwere Klassifizierbarkeit, ließ ihr Unternehmen seltsam “unkorrekt” und somit umso reizvoller wirken.

Dass im New Wave und Post Punk wurzelnde Musik wieder einmal hip werden sollte ahnte man damals eher verhalten. Und kaum, dass Zola Jesus eines der Zugpferde dieses Trends sein sollten. So kam es jedoch, und Nika Roza tat was alle mit Bedacht agierenden Trendsetter tun – sie distanzierte sich von jeglicher Hipness und tat doch alles, um davon profitieren zu können. Nichts auf der Welt ist legitimer, vorausgesetzt alles Planen und Changieren tut der Musik keinen Abbruch. Als Nika Roza jedoch über Nacht optisch vom Siouxsie-Verschnitt zum Cindy Lauper-Verschnitt mutierte, vollzog sich auch eine musikalische Glättung, dem der alte Shoegazersound ohne Shoegazerattitüde leider weitgehend zum Opfer fiel. “Stridulum” hatte große Momente, keine Frage. Doch der reizvolle Phlegmatismus ihrer Musik büßte eine Großteil seines coolen, leicht skurrilen Zuges ein und entpuppte sich mit der Zeit als ermüdend.

Es ist immer schwierig, nach dem Durchbruchalbum den richtigen Schritt zu tun, denn ein einmal funktionierendes Erfolgsrezept erneut durchzukauen ist meist ebenso falsch wie eine derart starke Kehrtwende, dass einen die gerade erst hinzugewonnenen Fans nicht mehr wiedererkennen. Es ist erfreulich, dass Zola Jesus in keine der beiden Fallen tappt, denn das Resultat namens „Conatus“ behält zwar den glatten Sound von „Stridulum“ bei, kopiert aber dessen dröge Wesensart keineswegs. Ein Sprung nach vorn ist der schon auf Konzerten eingeübte Einbezug einer echten Band. Auf dem neuen Album bedeutet dies vor allem Streicher und gelegentlich Schlagzeug, doch das sind nicht die einzigen Veränderungen. Schon in den ersten Minuten fällt auf, dass die 22jährige nun mehr als je zuvor Wert auf Details legt: Das eröffnende Stück offenbart eine Klangfontäne voll winziger Einzelstücke, die dem Hörer recht unaufgeräumt entgegen sprudelt. Ein weiteres Novum kommt ebenfalls gleich zu Beginn zur Geltung: Danilova hat sich immer mehr von dem typischen 80er Jahre Four to the Floor Rhythmus entfernt und neigt zum Dancebeat, um den sich hier die Soundpartikel gruppieren. Das stimmt erwartungsvoll, scheint etwas anzukündigen, fordert aber auch Geduld, denn noch startet der Takt keineswegs durch.

Treu geblieben ist sie sich bei der Stimmarbeit, auch wenn das Opernhafte des Frühwerks nur noch für Momente anklingt. Eindimensional verläuft das aber keineswegs. Zwischen zurückgenommenen Passagen lässt sie ihrer Stimme immer wieder freien Lauf, auf ihre leicht gepresste und doch sehr kraftvolle Art, die viele Kritiker nicht zu Unrecht an Siouxsie erinnert. Doch auch in solchen Momenten gibt es keine Entgrenzung, kein völliges Loslassen, denn Danilova scheint der totalen Expression zu misstrauen und zumindest im emotionalen Bereich bevorzugt auf Andeutungen zu setzen. Dieser Wechsel, aber auch die dazugehörende Selbstbegrenzung passt sehr gut zur Struktur vieler ihrer Songs, die sich oft erst nach und nach aufbauen, eruptive Höhepunkte jedoch verweigern. Mehr als in den Vorgängeralben steht Perkussion im Vordergrund, ein zum Teil ekstatisches Pulsieren, dass jedoch in seinen stärksten Momenten kein Rhythmus sein will. „Avalanche“ überzeugt gerade dadurch, ebenso das schon als Single bekannte „Vessel“, das mit edlen Sounds und einen epischen Refrain am Ende haarscharf am glatten, eingängigen Popsong vorbei schlittert. Ein Höhepunkt an Wandlungsfähigkeit, aber auch an zaghafter Ambivalenz ist „Hikikomori“ – ein Song, der sich stets wandelt, alle rhythmischen, klanglichen und melodischen Punkte nur umkreist und doch keines der angedeuteten Songsversprechen einlöst. Andeutung bleibt auch der im Titel implizierte Rekurs auf eine neue, seit Jahren vermehrt unter japanischen Jugendlichen auftretende Form der splendid isolation, die man pathologisieren mag, die man aber auch als legitimen gegenkulturellen Audruck eines Nein zu gesellschaftlichen Abläufen unserer Zeit betrachten kann.

Bestünde das Album allein aus solchen Songs, wäre es zu experimentell für die Nachfolge eines Hitalbums. Einfachere, poppige Strukturen vor allem in der zweiten Hälfte retten „Conatus“ dann auch für die etwas mainstreamigeren Radiostationen. Vergleichsweise einfach gestrickte Songs mit Hitpotential sind „Seekir“ und vor allem „Ixode“, bei dem ich für einen Moment an die Depeche Mode zur „Exiter“-Zeit denken musste, als die Band gerade ihre relativ grungige Phase hinter sich gebracht hatte und sich auf dem Höhepunkt ihres neuen (und kurz danach banalisierten) Elektrosounds befand. Mag auch ein bisschen noisige Verzerrung in den Beats zu hören sein, so scheint ihr Dancefloor-Charakter doch etwas zu stoffelig, um mit der eigentlichen Größe von Zola Jesus mithalten zu können. Ganz und gar nicht unter Wert verkauft sie sich dagegen bei „In Your Nature“, einer der beiden Balladen auf „Conatus“, bei der ihre Stimme sich am untypischsten und wandelbarsten erweist, untermalt von einem wabernden Streicherteppich, der teils synthetisch, teils organisch in den unterschiedlichsten Klangfarben leuchtet.

„Conatus“ ist ein Album, bei dem emotionale Tiefe und technische Reife miteinander derart harmonieren, dass sie nicht mehr als Gegensätze wahrgenommen werden können. Nach „The Spoils“ ist es auch das soundorientiertsteste Album von Zola Jesus, und die Hinzunahme von Streichern und echten Drums tut ihrem Sound gut, ebenso ihr Faible für Details. Damit hat sie bewiesen, dass sie keineswegs im Revivalgeschäft ist. Ob man ihr gelegentliches Abdriften in allzu tanzbare Gefilde nun schätzt oder nicht, so muss man doch anerkennen, dass ihre Musik mittlerweile jeden Hype weit hinter sich lässt. (U.S.)

Label: Souterrain Transmissions