Man könnte Calexico auf den ersten Blick einen gewissen Regionalismus nachsagen. Sie benannten sich nach einer Stadt im Südwesten der USA und spielen eine Musik, die in dieser Gegend verwurzelt ist. Natürlich ist eine solche Beschreibung nicht nur oberflächlich, sie setzt auch einen einseitigen Schwerpunkt. Wie der Name schon andeutet, liegt die Gegend um Calexico (sowie ihr mexikanischen Pendent Mexicali) an der Grenze zweier Kulturen, die sich als gravierend unterschiedlich definieren – einer Region, die von einer Dynamik von hoher politischer Brisanz durchzogen ist, die in den Texten der Band auch wiederholt zur Sprache kommt. Auch die Musik der Gruppe, die 1997 von Joey Burns und John Convertino nach ihrem Ausstieg bei Giant Sand gegründet wurde, spiegelt diese regionale Diversität, vereint Elemente aus hispanischen und angloamerikanischen Stilrichtungen, die meist in den jeweiligen Folktraditionen stehen.
Auch die Tatsache, dass Calexico einen starken Bezug zum Reisen haben, spricht gegen die Vorstellung einer regional verwurzelten Combo. Freilich sind sie nicht die einzige Americana-Band, die gerne tourt, doch bei ihnen hat das Konzertegebeben einen besonderen Stellenwert – einen so zentralen, dass es zur Tradition wurde, für jede der größeren Tourneen, die die Gruppe bislang auf alle Kontinente außer Afrika und die Antarktis brachte, ein exklusives Album zusammen zu stellen, das es dann nur am Merchandise-Stand zu kaufen gab. Bei den exklusiven Songs handelte es sich meist um etwas rauere Aufnahmen, vielleicht zum Teil auch einfach um Outtakes aus vorangegangenen Sessions, aber gerade dies hatte seinen Reiz und konnte auch diejenigen Fans versöhnlich stimmen, denen allzu brave Werke wie „Garden Ruin“ weniger zusagten. Für Liebhaber und Sammler werden diese Alben gerade in einer aufwendig gestalteten 12LP-Box wiederveröffentlicht, limitiert auf elfhundert Einheiten mit dem Versprechen, sie niemals auf CD heraus zu bringen. Für die No Die Hard-Fraktion gibt es jedoch die hier vorliegende Alternative, die man keinesfalls als Trostpreis abtun sollte.
Wollte man das stilistische Panorama der Compilation an drei Eckpunkten festmachen, dann würde man auch gleich die musikalischen Schwerpunkte von Calexico generell benennen: Ein Großteil der Aufnahmen ist akustischer Natur und entstammt der typisch amerikanischen Songtradition, und es hängt vom jeweiligen Stück ab, ob eher das folkige Element oder ein etwas poppiger Singer Songwriter-Stil im Vordergrund steht. Eine andere Gruppe bilden instrumentale Texmex-Stücke unterschiedlicher Länge, die mit Hammondorgel und diversen Saiteninstrumenten hervorragend für Filmscores geeignet wären. Eine dritte, kleinere Kategorie spielt mit Rockansätzen. Bei den Folksongs herrscht meist eine relaxte und zugleich nachdenklich Stimmung vor. Bei „Half a Smidge“ schwingt bei all dem eine Coolness mit, wie sie nur auf den staubigen Hauptstraßen halbverfallener Geisterstädte geboren wird. Während „Ghostwriter“ fast schon ein wenig zu schön ausgefallen ist, bietet das traditionelle Kinderlied „All The Pretty Horses“ (bekannter mit dem Zusatz „little“) die vielleicht intensivsten Momente der Compilation – allein dieses Stück macht die CD für African Paper interessant, und viele wissen vielleicht nicht einmal, dass ein gewisser John Contreras in den 90ern noch als zweiter Gitarrist mit im Boot war, bevor er zum Cellisten einer britischen Band wurde, die ebenfalls eine bekannte Version des Songs spielte. Die Calexico-Version erschien damals bereits (passenderweise) auf einem Benefiz-Sampler für ein Kinderhilfswerk.
Die Instrumentalstücke zeigen die Band von ihrer klassischen und typischen Art – sie transportieren eine vitale Verwegenheit, die dem Flair bekannter Filme von Rodriguez und Tarantino nahe kommt. Die Midtempo-Nummer “Waitomo” ist mit ihrer aufwühlenden Surfgitarre ein hybrides Monster aus dem Lebensgefühl von California und Baja California, man wartet vergeblich auf Gesang, aber der Song ist auch so die reinste Feier fatalistischer Lebensfreude. Ähnliches lässt sich zu dem doch recht kurzen “Entrenado a los Tigros” sagen, das wie geschaffen scheint für eine kleine Lapdance-Einlage. Beim düsterfolkigen “Glowing Heart of the World” trifft Townes van Zandt auf Lee Marvin, doch das Wort überlassen die beiden dem stimmungsvollen Marimbaphon, bis der Song losgalloppiert und in fast so etwas wie Morricone-Pathos seinen Abschluss findet. Das schlägt die Brücke zu rockigen Stücken wie „Inch by Inch” und vor allem “Lost in Space”, sowie zu der etwas aus dem Rahmen fallenden Easy Listening-Nummer “Crystal Frontier”.
Auch wenn manche Songs ein bisschen fragmentarisch wirken, hat mich die Sammlung ausgezeichnet unterhalten und sogar dazu gebracht, mal wieder alte Scheiben wie “The Black Light” aus dem Regal zu ziehen. Wer auf den Geschmack kommt und gerade ein dickes Portemonnaie hat, der kann am 9. Dezember dann richtig zugreifen und gleich die ganze Box bestellen. (U.S.)
Label: City Slang