Stephen O’Malley und Greg Anderson, denen man nachsagt, ein recht gegensätzliches Duo zu sein, sind mit ihrem Projekt Sunn O))) nicht vom Himmel gefallen. Sie stehen in diversen Musiktraditionen, und innovativ waren sie vor allem als Missing Link, der Bereiche zusammenführt, die sich mehrfach sehr nah kamen und sich doch niemals völlig berührten. Bewegten sich Drone- und Minimalmusik in der Nachfolge von Young oder Palestine entgegen mancher Behauptungen nie vollends aus dem sogenannten E-Bereich heraus, hat sich (Doom-)Metal der Abstraktion und der völligen Auflösung von Rockstrukturen bisher nur angenähert. Sunn O))) müssen in dem Kontext zwangsläufig als Meister der Reduktion gelten, im Aufbau der Stücke, aber auch in den rudimentären Rockismen ihrer Musik, die freilich durch Klangvolumen, technische Protzerei und halb karnevalesken Budenzauber kompensiert werden.
In Kollaborationen fühlten sie sich ebenso zu experimentierfreudigen Metalkollegen wie Malefic (Xasthur) und Attila Csihar (Tormentor, Mayhem, Void ov Voices) hingezogen wie zu Künstlern abstrakterer Art wie John Wiese und Merzbow. Daraus entstanden Gemeinschaftsarbeiten, bei denen die Beteiligten stets zu einer temporären Einheit verschmolzen sind, was den Kompositionen meist zugute kam. Bestes Beispiel die „Altar“, bei der Sunn O))) und die japanischen Boris einen Stil hervorbrachten, der kaum synthetisiert wirkte, sondern eher wie die Handschrift einer neuen Band. Nurse With Wound in der Inkarnation von Steven Stapleton und Colin Potter zählten sicher zu den prominentesten und profiliertesten Aufbereitern, als sie sich vor dreieinhalb Jahren das damals schon ältere (vom „GrimRobe“-Demo-Release abgesehene) Quasi-Debüt “ØØVOID” vornahmen und einer subtilen wie radikalen Revision unterzogen, die unter dem Titel „The Iron Soul of Nothing“ als Bonus-CD einer japanischen Neuauflage erschien. Auch bei den darauf enthaltenen Stücken hat man es nicht mit einer klaren Rollenverteilung von Gastgebern und Gästen zu tun, und der Begriff des Remixens muss hier sehr weit gefasst werden, denn was die Briten machen gleicht eher einer kompletten Neuinterpretation, frei nach dem auf den Masterbändern enthaltenen Basismaterial. Nicht durchgängig ist in den einzelnen Tracks (ursprünglich drei, doch einer wurde später geteilt) noch der direkte Bezug zu einem bestimmten Sunn-Stück zu erkennen, konsequenterweise sind auch die Titel jeweils neu und nehmen nur in einem Fall Bezug auf das Original. Natürlich polarisierte das Experiment und wurde von einigen Fans als vernachlässigbare Spielerei abgetan – vorschnelle Reaktionen, die auf die restringierten Codes der Urteilenden zurückfallen. Dreieinhalb Jahre später trägt Ideologic und Edition Mego endlich der Eigenständigkeit Rechnung und bringt das Album erstmals separat in einer Vinyledition heraus.
Schon die ersten Minuten von „Dysnytaxis (…A Chance Meeting With Somnus)“ tragen eine deutlich erkennbare Handschrift aus Coloorta und rufen O’Malleys favorisierte NWW-Platte, „Soliloquy for Lilith“, in Erinnerung. Es beginnt zunächst eher zaghaft, beinahe schlaftrunken, bis ein leichtes Zittern unter der Oberfläche in melodische Strukturen überleitet und der Sound deutlich an Opulenz gewinnt – eine mit Basssounds und Streicherzitaten angereicherte Dichte, die sich in ihrer Gestalt sehr stark von der grobkörnigen, rauen Klanggestalt unterscheidet, die man von Sunn O))) gewohnt ist. Man kommt auch nicht so schnell in Versuchung, das Klischee des „Monolithischen“ zu bemühen, auch wenn man könnte. Etwas Flatterhaftes, beinahe Leichtes schwingt mit, das für NWW typisch ist, und dem ursprünglichen Material eine paradoxe Note verleiht. „Ra at Dawn (Rapture, At Last)“ bezieht sich auf „Ra at Dusk“ und ist zunächst nur eine Hälfte der ursprünglichen Überarbeitung, die wie ein riesiges Metal-Intro wirkt, das erst gar nicht vor hat, zum Punkt zu kommen: Ein monumentaler Downer, dessen dröhnender Flächensound dezent im Hintergrund bleibt und gerade dadurch eine bedrohliche Spannung aufrecht erhält. Dass es gelegentlich rauscht und pfeift wie der Atem eines monströsen Tieres, ist dem nicht gerade abträglich. Etwas statischer und reduzierter entfaltet das wellenförmige Auf- und Abebben jedoch nie die orchestrale Wucht von Werken wie dem nur scheinbar spartanischen „Salt Marie Celeste“.
Ich schließe mich einigen Kollegen an, wenn ich „Ashes on the Trees (The Sudden Ebb Of A Diatribe)“ als musikalischen Höhepunkt bezeichne, der nicht nur wegen des von NWW demonstrativ in den Vordergrund gemischten Vokalbeitrags von Peter Stahl die größte Opulenz beansprucht. Dank Pedaleinsatz, berstendem Glas und bedrohlicher Kratzgeräusche drängt sich allerhand Noise zwischen das langsame Pulsieren der Drums und der merkwürdigen Tuba-Klänge. Stahl, ursprünglich von der HC/Punk-Band Scream und zeitweise Andersons Kollege bei Goatsnake, erzeugt mit seinem Vortrag des hermetischen Textes eine bedrückende und zugleich zauberhafte Stimmung, zeitweise kamen mir sogar die weniger ruhigen Momente von Jhonn Balance im Spätwerk Coils in Erinnerung. „Ra At Dawn Part II (Numbed By Her Light)“ steigert den ersten Teil noch in Infernalik und bildet einen großartigen Abspann voller wabernder Bässe und schleifender Sounds, die laut The Wire an eine mit dem Maschinengewehr demolierte Küche denken lassen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die separate Veröffentlichung von „Iron Soul“ eher noch bei NWW-Fans Beachtung finden wird – zum einen weil sie im Umfeld der Amerikaner wohl schon eher als Bonus bekannt ist, doch auch weil Neuinterpretationen für NWW-Hörer noch weit weniger als Projekte außer der Reihe aufgenommen, sondern als integraler Bestandteil der Bandaktivität gewürdigt werden. Gerade hierzulande haftet Nurse dank einer stereotypen „tag“-Mentalität immer noch eine vereinseitigende Post Industrial-Assoziation an, und schon deshalb wünsche ich Stapleton und Kollegen, durch diese gelungene Arbeit ihren Hörerkreis zu erweitern. (U.S.)
Label: Ideologic/Edition Mego