SOAP&SKIN: Narrow

Soap&Skin polarisiert. Die einen stecken ihre Songs gar zu schnell in die Ecke für sensible und leicht überdrehte Mädchenmusik – eine Drama Queen, die sich psychisch entblößt und der neurotischen Jugend von heute ihr Identitätsfutter gibt. Andere setzen auf hohen Stil und fahren schwere Geschütze klassischer Bildung auf, holen die Gedichte Trakls aus der Kiste und bemühen das romantische Kunstlied, um sich einen Reim auf die Anziehungskraft zu machen, die ihr Debüt „Lovetune for Vacuum“ vor ein paar Jahren ausstrahlte. Natürlich nicht ganz zu unrecht. Anja Plaschg, die Person hinter dem Namen, sieht sich als Popmusikerin, und ihr Unbeeindrucktsein gegenüber all den klugen Fachsimpeleien wirkt echt. Ebenso die derangierte Theatralik ihrer Texte und Auftritte, die von den Rezipienten zwar einiges fordern, die aber immer im Rahmen dessen bleiben, was die Musik verlangt. Was mich am meisten überzeugt, ist das Ausbleiben eines markanten Imagewechsels, den man im Zuge eines solchen Hype fast erwartet, zumal bei einer noch recht jungen Künstlerin. Keine Blondierung, kein Retro, kein aufgesetzt dilettantischer Galerien-Chic, dafür hundert Prozent Soap&Skin.

Was keineswegs andeuten soll, dass es auf dem knapp halbstündigen Mini-Album namens „Narrow“ keine Neuerungen zu hören gäbe – die gibt es nämlich schon ganz vordergründig in einem etwas volleren Sound und in der Tatsache, dass Anja sich textlich nicht mehr mit dem Englischen begnügt. „Vater“ ist ihr erstes Lied in der eigenen Muttersprache, gerichtet an den vor zweieinhalb Jahren verstorbenen Vater. Über ein Jahr lang soll sie immer wieder an dem Song gebastelt haben, und herausgekommen ist eine berührende Auseinandersetzung über die Schmerzen des Loslassens und Erinnerns. Ein derart persönliches Stück soll hier keiner Deutung unterzogen werden, doch mit dem stufenweisen Aufbau, dem Text und Musik zusammen bis zum eruptiven Höhepunkt und kleineren Nachbeben folgen, gehört der Song für mich zum mitreißendsten, das S&S bisher zustande gebracht hat. Es mag weit hergeholt klingen, ihre Musik mit der von Othon Mataragas zu vergleichen, da beide in ganz unterschiedlichen Kontexten aktiv sind, doch schiebt man einmal alles leidige Denken in „tags“ beiseite, fallen Ähnlichkeiten im Klavierspiel auf, das meist in pastoral anmutenden Melodien ihren Anfang nimmt und sukzessive an Dramatik gewinnt. Beide kontrastieren das Romantische mit kabarettartigen Showtunes und sind in den letzten Jahren opulenter geworden. In Anjas Fall ist das nicht nur der Produktion zu danken, sondern auch ihrem erweiterten Instrumentarium. „Vater“ gipfelt in einem großen Finale mit Streichern, Bläsern und Trommeln, und wer das schon effektgeladen findet, der hat das Stück noch nicht bis ganz zum Schluss gehört, denn Anja weiß genau, wann und wie plötzlich man einem Song den Stecker herausziehen muss.

Die ersten drei Stücke enthalten die wichtigsten Facetten der aktuellen S&S-Welt in nuce. Nach dem dramatischen Auftakt lässt ihre „Voyage Voyage“-Interpretation wehmütigere Töne anklingen. Eine leichte Schwermut findet sich schon im Original von Desireless, aber Anjas Version (die schon in einem Film Verwendung fand, in dem sie auch mitspielt) ist frei von jeder verträumten Beschaulichkeit. Ziel- und wurzellos mutet die Reise an, und wenn Anja an einigen Stellen die Melodie einfach loslässt, bekommt der Song etwas schmerzvoll abgeklärtes. Dies sind auch die Momente, in denen ihre Stimme am besten zur Geltung kommt: brüchig, fragil, fast rauchig und immer mit starkem Akzent. „Deathmental“ könnte sich nicht stärker davon unterscheiden, technisch ausgefeilter Elektrosound, fast Midtemporock. Dass mir diese Seite als die Schwächste erscheint, mag Gewohnheiten geschuldet sein, und klar – S&S sollte nicht ewig auf melancholische Kammermusik abonniert sein. Aber Pathos und technische Opulenz dieser Art gehen oft eine Symbiose ein, die nicht nur nach Stadion klingt, sondern auch nach Zillo und Orkus. Weitere perkussive Stücke wie „Boat Turns Toward The Port“, bei dem der anfangs dezente Stimmeinsatz sich mehr und mehr gegen klappernde Field Recordings durchsetzt, wirken eindringlicher. Der gesamte Mittelteil besteht aus anrührenden Downtempo-Stücken mit Klavier und Gesang, aus denen vor allem „Wonder“ hervorsticht – durch ein ständiges Wiederholen des hermetischen Textes wird der anfangs noch etwas kitschig wirkende Song zu einer eindrucksvollen Variation über Verlorenheit und Rettung.

Es gibt auf “Narrow” Augenblicke aufgewühlter Verzweiflung, doch Momente kontemplativer Trauer behalten die Oberhand bei den acht Liedern, die stets zwischen Bedrücktheit und Trost schwanken. Dies macht die Sammlung, die man durchaus als Album betrachten kann, zu einer ebenso unberechenbaren wie stimmigen Sache.

Label: PIAS/Rough Trade