J Greco alias S.Q.E. blickt bereits auf einen umfangreichen Backcatalogue zurück. Unter dem Pseudonym The Fruitless Hand wirkte er bei Ure Thrall an etlichen elektronischen Dronealben mit, zuletzt überraschte er im Dunstkreis von Cryptanthus Records und Gruppen wie Orchis und Temple Music. Das Werk des Brooklyners, den man gerne im Prokrustesbett experimenteller Electronica verortet, ist geprägt von einer großen Unberechenbarkeit, mit „Rise of the Vulcans“ überschritt der zuletzt die Grenze zum Eklektischen. Mit einem Dub-Album hatte aber auch ich 2012 nicht gerechnet.
Um es vorweg zu nehmen: Grecos neuer Wurf ist ein äußerst virtuoses Beispiel für ehrlichen musikalischen „Tourismus“, denn hier ist jemand tief in die Geschichte jemaikanischer Musik eingetaucht, ohne auch nur eine Sekunde lang zu leugnen, dass die eigenen Wurzeln im Sound der westlichen Metropolen gewachsen sind – eine Aneignung also, die ohne den Perfektionismus geheuchelter Authentizität auskommt. Das merkt man schon ganz vordergründig bei dem fett produzierten Rootsreggae in „Nave’d“, bei dem jeder One Drop-Takt, jeder Basslauf und jeder Trommelwirbel sitzt, während ein folkiges Violinenspiel fast überdeutlich das hybride Element mit hineinbringt. Das Resultat ist ein gradioser Bastard aus chilligen Roots und chansonartiger Melodramatik, von dem man eigentlich erwarten würde, dass er auf ganzer Linie scheitert. Tut er aber nicht, und seltsam groteske Bassfiguren erinnern daran, wie wichtig Reggae-inspirierte Musik einmal für Post Punk und New Wave (PIL, The Pop Group u.v.m.) waren. Beim beschwingten „Sour Grapes“ malträtieren erstmals Tanzbeine das Parkett, die Haare kurz, die Anzüge chic, und so manch augenzwinkerndes Pokerface gibt sich die Ehre. Mit anderen Worten: Ska steht auf dem Plan, aber ein solcher, bei dem der gleichförmige Off-Beats schon mal ins Aggressive und Atonale kippt, aber nicht bevor auch hier die wehmütigen Streicher wieder eine leise Melancholie mit hineinbringen.
Weitere der Folgestücke verbraten diese beschwingte Gangster-Atmosphäre, bei „Darker Globe“ (dem vielleicht experimentellsten Stück, das die Atonalität nur knapp umschifft) ist sie durch Overdubbing extrem reduziert – eine Lücke, die durch den Sirenengesang Tracy Jefferys beeindruckend gefüllt wird. Wieder andere („Shards“) sind Dub pur und extrem auf Hall und Reduktion gemacht, was Tracys Gesang (der für Liebhaber von Strawberry Switchblade oder The Heart Throbs neue Horizonte eröffnen sollte) noch mehr zur Geltung bringt. Die vier letzten Stücke des Albums, die in einer separaten Session aufgenommen wurden, sind elektronischer und zum Teil merklich verzerrt.
Trotz des durchgehenden Taktes haben die einzelnen Stücke alle ihre eigene Charakteristik, und das hat keineswegs nur mit der jeweiligen Zuordnung Dub, Ska, Roots etc. zu tun, sondern auch mit Melodien, Harmonien, Klangfarben und atmosphärischen Schattierungen, die Greco stets so variabel gestaltet, dass das Album nie bloß Hintergrundbeschallung ist. Allerdings hadere ich etwas mit der Länge – der stimmungsvollen Euphorie der ersten zwei Drittel will der etwas kühlere letzte Teil nicht ganz das Wasser reichen. Aber wozu gibt es die Fernbedienung?
P.S.: Für Freunde griffiger “Hook”-Lines aus dem grauen urbanen England wurde in einem Stück noch eine kleines Osterei versteckt.
Label: Silken Tofu