Hiroshi Hashimoto und der Mann, der sich Tzii nennt, sind zwei unstete Geister, die sich ungern zu lange an einem Ort aufhalten. Der Japaner, besser bekannt als Contagious Orgasm, durchkreuzt seit einem Vierteljahrhundert die weitläufige Landkarte elektronischer Musik, und das beschränkt sich keineswegs auf die dunklen und krachigen Gefilde, mit denen man ihn meist assoziiert. Neben der Stilpalette von Ambient bis Rhythm Noise war stets Raum für Trippiges und für Ausflüge in diejenige Tanzmusik, die man einst mit dem Attribut „intelligent“ versah, neben Zusammenarbeiten mit Govt Alpha, Bad Sector und Telepherique konnte der Künstler sich auch auf den Dialog mit akustisch arbeitenden Musikern einlassen. Beim belgischen Kollegen Tzii äußert sich die Wandlungsfähigkeit mehr in der Medienwahl als im Hashimoto vergleichbaren Stilspektrum, der obskure Künstler ist als Regisseur, Filmkomponist, DJ und Liveact aktiv, spielte auf fünf Kontinenten, und traf dabei irgendwann auch auf Contagious Orgasm. Man kam ins Gespräch, und das an zwei entfernten Ecken des Erdballs entstandene Resultat trägt den griffigen Titel „Blind Shadows“.
Das bisherige Werk der beiden ist mir nur auszugsweise bekannt, weswegen ich mir auch jede Mutmaßug darüber spare, welche Sounds und Effekte nun von wem stammen könnten – es wäre aber eine große Herausforderung, und schon zu Beginn kann man bei entsprechender Neigung eine Obsession für Details entwickeln. „Desertet Paradise“ heißt das Stück und macht bewusst, wie fremd einem eigentlich die Frage ist, was aus dem biblischen Paradies geworden ist, nachdem der Mensch voll ungezogener Freiheitsliebe und Erkenntnissuche ein Teil der Geschichte und der sterblichen Natur wurde. Man könnte sagen, das Paradies ohne die Krone der Schöpfung ist kein beschaulicher oder gar berechenbarer Ort, im Gegenteil, denn erdige Bassklänge, pathetische Rockdrums und allerlei Kakophonien kämpfen hier im Minutentakt um die Vorherrschaft: Die tiefen Tasten eines Klaviers in unruhiger Bearbeitung an der Grenze des Klimperns, Jazzanklänge und jede Menge Stoff aus alten Stummfilmen. Electronica scheint zunächst fern, und Noise offenbart sich nur in gelegentlichen Hochfrequenztönen, die sich als subtile Ohrenfeinde entpuppen.
Doch die eigenen Ursprünge holen die beiden flugs ein, denn im Verlauf wird es bedeutend lärmiger: Durcheinandergewirbelte Stimmfetzen, chaotisch montierte Feldaufnahmen, Powernoise-Gebrülle, verzerrtes Rauschen und Summen, dazu Rhythmen unterschiedlichster Art, die – wie im Fall von „Panic Room“ (man schätzt offenbar griffige Titel, die ebenso griffige Bandnamen für Newcomer-Acts hergeben würden) – technoide Hektik verbreiten, die man mögen muss, ich persönlich ziehe das formlose Noisechaos in „Storm Rest“ vor. Die andere Seite bilden Bläserklänge asiatischen (?) Ursprungs, unruhige Ambientflächen und das subtile, hypnotische Gewummer in „Twinning Hearts“, das alsbald in Trance übergeht.
Der Spontaneität und Aufgeschlossenheit beider Musiker entsprechend hat das Album einen Panoramacharakter, der einige Überraschungen in petto hat, wenngleich eine derartige Vielseitigkeit fast zwangsläufig mit sich bringt, dass nicht jedem alles zusagt. Wer sich beeilt, kann noch eines der fünfzig limitierten weißen Waxscheiben bekommen, ansonsten gibt es ebenso exquisites Vinyl in diversen Farben.
Label: Trips und Träume