Emanuele de Raymondi und Oguz Buyukberber haben schon in unterschiedlichen Konstellationen zusammengearbeitet, und wenn immer der italienische Komponist und der türkische Klarinettenspieler sich zu einem gemeinsamen Projekt entscheiden, laufen die verschiedensten Musiktraditionen zusammen. Ein roter Faden des an beiden Küsten der USA ausgebildeten Italieners ist das ständige Überlappen von klassischer Musik und zeitgenössischer elektronischer Klangkunst, die sich in orchestralen wie in klanglich reduzierten Werken manifestiert und gelegentlich ihre Anwendung bei Film und Theater findet. Buyukberbers Interesse gilt der Bassklarinette und ihren verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei bewegt er sich in drei Großbereichen, in denen das Instrument v.a. im 20. Jahrhundert seine Spuren hinterlassen hat. Da wäre zum einen die traditionelle türkische Musik, bei der es, wie Oud-Spieler Eliot Bates uns einmal im Interview erklärte, so schwer ist, die für westliche Ohren vertraute Unterscheidung zwischen Klassik und Folklore vorzunehmen. Zum anderen klassische europäische Kunstmusik und amerikanischen Jazz.
Bislang war es Buyukberber, der den Sekundärpart übernahm und Kompositionen Raymondis einspielte, bzw. sich an Interpretationen beteiligte. In ihrer neuesten Gemeinschaftsarbeit drehten die beiden den Spieß um – Raymondi trat diesmal nicht als Komponist auf, sondern als Klangbastler und Remixer, der zuvor eingespielte Aufnahmen des Kollegen einer grundlegenden Überarbeitung und Erweiterung unterzieht. Das Resultat ist ein Werk, bei dem jegliche Genrezuweisung irrelevant geworden ist.
Auch ohne nähere Vertrautheit mit den beiden Musikern erscheint mir das Werk als ein gut in Balance gehaltenes “Duett” mit gleicher Präsenz der Beteiligten – akustische und elektronische sowie westliche und kleinasiatische Elemente halten sich die Waage, ähnliches lässt sich von den umgesetzten Stimmungen sagen, wenngleich dies von Stück zu Stück variiert. Das Eröffnungsstück wirkt mit seinen ausgeprägten Melodiebögen und der zurückhaltenden Verfremdung zunächst meditativ, erst im weiteren Verlauf tritt die Nachbearbeitung deutlicher in den Vordergrund, u.a. in Form artifizieller Wiederholungsfiguren, die den Hörer aus dem Berieselungsmodus herausholen und die Konstruiertheit des Ganzen schlagartig bewusst machen. Da die Mittel dazu jedoch eher subtil als demonstrativ sind, ist es schon nach kurzer Zeit wieder möglich, in die Klänge abzutauchen und den fantasievollen Ethno-Tagtraum fortzuführen. Doch nicht immer klingt die Bassklarinette so dezent und erdig wie zu Beginn, beim verspielten und von abrupten Wechseln durchzogenen zweiten Abschnitt mag man sie glatt mit einem Saxophon verwechseln, in einigen elektronischer dominierten Abschnitten ist sie als solche zum Teil schwer zu erkennen, und fügt sich eher als Geräuschquelle in den Electronica-Rahmen ein.
Es wäre interessant zu wissen, ob Buyukberber während seiner Improvisationen schon auf die Interpretation durch Raymondi hinzielte, oder ob der sich eher aus schon vorhandenen Archiven des Klarinettisten bediente. Dass die Variationen letztlich trotz aller stilistischen und perspektivischen Vielfalt wie ein Werk aus einem Guss klingen, spricht jedenfalls für die Passgenauigkeit der beiden Ansätze.
A. Kaudaht
Label: ZerOKilled Music
Emanuele de Raymondi | Buyukberber Variations from ZerOKilled Music on Vimeo.