LON MILO DUQUETTE: I’m Baba Lon

Man müsste viel mehr über die amerikanische Songtradition wissen, um die Musik von Lon Milo DuQuette, kurz „Lon“, auch formal besser einordnen zu können. Für den Genuss seiner mitreißenden Melodien und seiner originellen Texte ist das allerdings unerheblich, und selbst die holzschnittartige Beschreibung eines Bekannten, der mir den Sänger als Missing Link zwischen Sinatra und Leonard Cohen empfahl, konnte vor ein paar Wochen die Neugier auf sein Berliner Konzert nicht drosseln, nachdem ich eine Handvoll seiner neuen Songs im Netz gehört hatte. Lon spielte auf dem Höhepunkt der Hippie-Äre in diversen Psychedelic-Bands, sein Hauptstandbein war das Duett mit Charley Dennis Harris, mit dem er ein Album auf einem bekannten Label draußen hatte und sich die Bühne schon mal mit Größen wie Arlo Guthry, Johnny Rivers und Sammy Davis jr. teilte. Nach über zwei Jahrzehnten, in denen er u.a. als Buchautor aktiv war, feiert der 64jährige zur Zeit ein überraschendes Comeback als Songschreiber und Sänger. Dass diesem zweiten Frühling eine Gastrolle beim Industrial-Projekt Dieter Müh vorausgegangen ist, verdeutlicht, in welch unterschiedlichen Kontexten seine Musik steht.

„Every little thing he does is magick“ betitelte vor einiger Zeit jemand ein Interview mit ihm, und sollte man wenig Vorwissen haben, kann man das durchaus auf das Charisma des gewitzten Entertainers und den Charme seiner Songs münzen, die im Grunde jedem gefallen sollten, der in den schwermütigen Balladen eines Towns van Zandt, der versoffenen (Un-)Coolness eines Tom Waits und jazzigen Evergreens aller Art keine unvereinbaren Gegensätze sieht – für den weißhaarigen Bohèmien, der mit seinem Sommeranzug gerade einer chicen Cocktailparty entsprungen sein könnte, lassen sie sich jedenfalls vortrefflich unter einen Hut bringen und mit einem eigenen Stempel versehen.

Wer mit dem Werk des Kaliforniers, dessen Wurzeln in den Prärien Nebraskas liegen, etwas vertrauter ist, der weiß natürlich längst, dass das Wort „Magick“ durchaus buchstäblich gemeint ist und hält das merkwürdige „k“ am Ende auch nicht für einen Tippfehler. Der stattliche Bücherstapel, den Lon über die Jahre mit Wissen angefüllt hat, berichtet primär über seine Erfahrungen mit westlicher Esoterik, im Speziellen mit Thelema, einer vom allseits gerühmten Lausbuben Alaister Crowley begründeten Okkult-Lehre, die für Lon nicht nur akademisches Steckenpferd, sondern auch persönliches Credo ist. Wer eine seiner Shows besucht, bei denen die Grenze zwischen Konzert und kurzweiligem Vortrag nie klar gezogen ist, erfährt vielleicht von seiner ersten Begegnung mit dieser Welt, von seinen jugendlichen Vorstellungen vom OTO als einem imposanten Tempel, der sich dann als eher „gemütliches“ Hinterhausappartment in LA entpuppte. Als überzeugtes Mitglied erlaubt er sich hier und da selbstredend ein ironisches Augenzwinkern, und ist sich des kuriosen Images solch “exotischer” Weltanschauungen in den Augen einer Tom Cruise-Filme konsumierenden Öffentlichkeit durchaus bewusst.

Ich kenne seine Bücher nicht und bin weder Kenner noch Anhänger ihrer Konzepte, und breche doch ganz gerne mal eine Lanze gegen die auch heute noch verbreiteten Vorurteile gegenüber dem Autor und Esoteriker Crowley, der entweder ganz in viktorianischer Tradition als abstruser Unhold, oder aber mit seinem “Do what thou wilt”-Postulat als Propagandist eines Hedonismus der Ellbögen abgetan wird – gerade letzteres bleibt aufgrund des transzendenten Charakters seiner Werke zu hinterfragen, das individuelle Ego (non plus ultra etlicher Optimierungs-Ideologen von Carnegie bis LaVey, von Rand über Hubbard bis hin zu schlauen Akademikern wie Rothbard und Friedman) als überwindenswert betrachtet. In Lons Fall kann ich mir vorstellen, dass seine Gedanken über den wahren Willen, über die Liebe als oberstes Gesetzt und die Unio Mystica mit dem „Holy Guardian Angel“ recht klug und sympathisch zu Papier kommen – in seinen Songs jedenfalls, die konsequent in der Ichform verfasst sind, zeigt er sich als talentierten Erzähler. Allgegenwärtiges Thema seines Solodebüts ist selbstredend die Liebe, die er mal in ironischer („When You’re not in love, things are simple“), mal in genießerischer Form („Love me slow“) beschwört, kongenial begleitet von seiner Akustikgitarre und einem beschwingten Jazzbesen. Und er wäre nicht der allen Okkultklischees gegenüber immune Realist, würde er Allzumenschliches wie Liebeskummer („Cold Lips of Paper“) aussparen. Bei „I wish I were Krishna“ huldigt er dem achtarmigen Liebesgott der Hindu und lässt durch die Oberfläche des Gentleman den Hippie durchscheinen.

Sehr anrührend, doch frei von allen Peinlichkeiten, sind zwei Songs über seine Familiengeschichte. „Last Night I Dreamt of Dead People“ ist eine im feierlichen Walzertakt vorgebrachte Hommage an seine Eltern. „Roman Rider“, für mich einer der Glanzpunkte des Albums, eröffnete er beim Konzert mit den Worten „My Grandfather was a bastard“ – es erzählt die Geschichte seiner Urgroßeltern, einer reichen Ranchertochter und eines verwegenen Cherokee aus der Truppe von Buffalo Bill, der kurz vor seinem tragischen Tod – ob mit oder ohne Grenzerlatein – der Held der besten Romeo und Julia-Geschichte jenseits des Mississippi werden sollte. Interessant, dass es gerade die fröhlichen Songs sind, die sich direkt um Magick drehen. Der Titelsong sticht besonders heraus: Zum stimmungsvollen Polkatakt mit Gypsie-Flair feiert Milo den göttlichen Funken, der auch im Everyman mit all seinen Schwächen und Fehlern steckt – er braucht nur eben seinen magischen Turban aufzusetzen, wie einst Grady McMurtry. Ein wahres Okkult-Festival mit Gastauftritten von Woody Allen und Al Pacino lässt Milo im beschwingten „Caffe Vivaldi“ zum Leben erwachen – Crowleys Geist und Madame Blavatsky geben sich die Ehre, und man müsste involvierter sein, um den Song mit den vielen humorigen Anspielungen wirklich verstehen zu können.

DuQuettes Musik funktioniert auf unterschiedliche Art – zum einen ist der Thelema-Bezug so stark, dass er sich kaum ausblenden lässt, zum anderen wird all dies aber auf eine derart offene und unbeschwerte Art mit den verschiedensten Themen verknüpft, dass die Musik auch vielen unbedarften Hörern gefallen wird, die offen sind für gute, mitreißende Songs voll ungekünstelter Lebensfreude, die vielleicht gerade deshalb so ansteckend wirkt, weil sie stets von einer leisen Melancholie durchzogen ist – „with crazy magick in the air“. Einen zweiten Teil gibt es auch schon unter dem Titel „Babalon II“.

Label: 93 Records