Auf diesen Seiten ist selten von „unseren Kreisen“ die Rede, da unsere Berichterstattung auch nicht für einen bestimmten eingrenzbaren Leserkreis gedacht ist. Dennoch vermute ich, dass der britische Komponist Andrew Poppy den meisten unserer Leser vor allem durch seine Arbeiten mit Psychic TV und Coil bekannt ist. Auf Stücken wie Coils „Boy in a Suitcase“ und in den markanten Streicherparts auf „Force the Hand of Chance“ trug er einen erheblichen Teil zu der mystischen Grundstimmung bei, die recht bald ein integraler Bestandteil der Musik sein sollte, die aus den Nachwehen des gerade zu Ende gegangenen Industrial entstanden ist. Seitdem sind fast drei Jahrzehnte vergangen, in denen Poppy als Komponist, Dirigent, Pianist und gelegentlich auch Vokalist zahllose Möglichkeiten ausschöpfte, eingängige Minimalkompositionen in der Tradition von Glass und Nyman mit einer Popkultur zu verknüpfen, die den Eruptionen des Punk entsprungen ist. Im Zuge dessen trat er in Dialog mit Gruppen wie Propaganda, Erasure oder den Working Class-Elektronikern Nitzer Ebb, mal auf deren Alben, mal mit deren Unterstützung auf eigenen Projekten.
Kräftige Streicher und feinsinnige Elektronik, Tanz und Monument, Piano und Poesie – das sind so grob die Grundlagen, auf denen Poppys Musik bis heute steht und die auch dem neuesten Werk „Shiny Floor, Shiny Ceiling“, das soeben in der Obhut von Produzent Paul Humphreys (OMD) fertig gestellt wurde, seine Grundform verleihen. Poppy und eine ganze Phalanx an Gastmusikern (vom Komponisten als “Unconfirmed Ghosts & Pessoas” bezeichnet) lassen hier spartanisch arrangierte Elektronik auf stimmungsvolle Kammermusik treffen und erzeugen ein breites atmosphärisches Spektrum. Die Dynamik der kraftvollen Musik wird durch ganz unterschiedliche Ideen aufrecht erhalten, mal durch aufgeweckte Allegri auf dem Flügel, mal durch helle Synthies und in „Knackers Yard Blues“ sogar mittels rauer Rockgitarren. Das Album ist von facettenreicher klanglicher Farbgebung und ausgesprochen vielschichtig, und wollte man sich die Mühe machen, könnte man für jeden Song eine eigene Kategorie finden. Man vergleiche nur die ersten drei Stücke: Die hintergründige Fragilität des schattenhaften „Thoughts on the Language of others“, bei dem Poppy selbst seine Lyrik vorträgt, mit dem gar nicht so düsteren Pop von „Dark Spell“, dem Propagandas Claudia Brücken ihre Stimme leiht. Oder mit dem überragenden Titelsong, bei dem der Sänger James Gilchrist, wenngleich kein Tomasini, gekonnt zwischen Bariton und Falsett switcht. Wirr und arbiträr wirkt das jedoch an keiner Stelle, denn das Album wird stets zusammengehalten von einer streckenweise fast euphorischen Feierlichkeit, die auch noch in den getragenen Momenten spürbar ist. Beeindruckend auch das Duett in „Dance With Me“, ein anrührend skurriler Song über die Unmöglichkeit zugleich von Nähe und Distanz. „ She asked me to dance, but I was so tired, I had to say no, no thank you no“.
Bei „Shiny Floor, Shiny Ceiling“ kann man leicht ins Schwärmen geraten, doch wenn man wie der Rezensent eher der trockene Typ ist, läuft man Gefahr, in endloses Namedropping zu geraten und kommt am Ende noch zu dem Schluss, dass so Elijah’s Mantle außerhalb einer gnostischen Parallelwelt geklungen hätten, oder In The Nursery, wenn sie im Zuge ihres electronic turn auch noch ihren Hochglanzkitsch entsorgt hätten. Ein ausgesprochen reichhaltiges Werk, das letztlich auch ohne die vielen Querbezüge heraussticht.
Label: Field Radio Recordings