Ich bin kein Sitar-Experte und erst recht kein Meister im Verfassen von Nachrufen, weshalb ich mich hier auch nur kurz dem Chor all derer anschließe, die in Ravi Shankar, der vor wenigen Tagen im Alter von 92 Jahren verstorben ist, einen der großen musikalischen Innovatoren des 20. Jahrhunderts betrauern. Muss man den 1920 im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh geborenen Ravi Shankar noch ausführlich vorstellen, seine vielfältigen Impulse für die regionale wie für die internationale Musik hervorheben, seinen legendären Woodstock-Auftritt, seine prägenden Einflüsse auf Yehudi Menuhin, George Harrison, die Stones und viele mehr? Sicher nicht, und falls doch, findet sich eine Vielzahl an Quellen dazu. Man muss ihn auch nicht in erster Linie als Hippie-Ikone oder als den Vater von Norah Jones apostrophieren, wie einige Kollegen von der professionellen Zunft es vormachten.
Auf Shankars hohes Alter spielt auch der Titel der vorliegenden Aufzeichnung eines seiner letzten Konzerte an, die jüngst auf DVD erschienen ist. Vor gut einem Jahr beehrte der Künstler zusammen mit sechs Mitmusikern für knapp 90 Minuten eine enthusiastische Fangemeinde im kalifornischen Escondido – in traditioneller Gewandung und ausgerüstet mit zwei der indischen Langhalslauten, sowie diversen Perkussions- und Blasinstrumenten, die in jedem Stück andere Konstellationen entstehen lassen und je nach Passage mal in den Vordergrund treten, mal den anderen Beteiligten das Feld überlassen. Auch der Bandleader selbst bildet da keine Ausnahme, wenngleich man deutlich spürt, wie sehr er mittels Augenkontakt und Körpersprache auch die Rolle des „Dirigenten“ beherrscht, und keine großen Gesten dafür benötigt. Wie bei vielen Shankar-Konzerten gibt es auch hier einen gut erkennbaren narrativen Verlauf. Das Intro wirkt zunächst meditativ, was nicht nur der stereotypen Wahrnehmung des Sitar-Klangs für westliche Ohren geschuldet ist, sondern auch dem verhaltenen Tempo und der Gleichförmigkeit der Akkordfolgen. Zusammen mit der Klangfülle steigert sich dies jedoch schon bald, wird stets in Variation gehalten, und mündet schließlich in einen harmonischen, entspannten Ausklang.
Die Stücke sind größtenteils aus Ravis Repertoire bekannt und fanden zuvor in unterschiedlichen Werkphasen Verwendung. Der Opener „Yaman Kalyan“, bei dem der stetige Wandel von entspannten hin zu aufgeregten Passagen, von verspielten hin zu konzentriert wirkenden Abschnitten vielleicht den stärksten Improvisationscharakter aufweist, ist vielen als Duett mit Ravis jüngerer Tochter Anouschka bekannt, die das Erbe des Vaters bekanntlich direkter angetreten hat als die primär im Jazz beheimatete Schwester. Das perkussiv-dronige „Khamaj“ findet sich auch auf einer seiner jüngeren „Living Room Sessions“. Bis zur Mitte der Darbietung steigert sich die Dynamik der Spielweise, fällt nach dem ekstatischen „Taal Vadya“ dann aber beinahe abrupt in die gebremste Stasis von „Goonga Sitar“, ein experimentelles Stück, das nach europäischen Begriffen am wenigsten „Lied“-Charakter hat. Recht unbeschwert und relaxt dann der Ausklang „Ragamala“.
Shankar gilt als Indiens Musikbotschafter, ein Begriff, der trotz des offiziösen Klangs seine Berechtigung hat und für seine Rolle in einem musikalischen Austausch steht, bei dem westliche Populärmusik viel Wertvolles entgegennehmen konnte, sobald sie bereit war, nicht nur auf exotisches Hippie-Kolorit zu setzen. Ich weiß nicht, ob Robbie Basho oder John Fahey je ernsthaft eine Sitar zur Hand genommen hatten, dennoch wäre die Tradition, die von solchen Gitarristen bis zu neutigen Musikern wie James Blackshaw oder Six Organs of Admittance reicht, ohne Größen wie Shankar sicher ganz anders verlaufen. Statt im Gegenzug über den oft ramschigen Konsumkulturimport von West nach Ost zu lamentieren (Grund gäbe es!), sollte man auf die hierzulande zu wenig dokumentierte Bereitschaft in Ländern wie Indien verweisen, durchaus interessante kreative Impulse auch aus unseren Regionen zu suchen.
Der Dokumentarfilmer Alan Kozlowski hat mit Shankar einer der Hauptfiguren dieses Austauschs eine klanglich wie bildlich hervorragende Referenz erwiesen. Sein Vermächtnis ist freilich sein Werk selbst.
Label: East Meets West