DAWN MCCARTHY AND BONNIE ‘PRINCE’ BILLY: What The Brothers Sang

Wenn Dawn McCarthy und Bonnie ‘Prince’ Billy die Everly Brothers covern und auch noch Pete Townsend mit von der Partie ist, dann weiß man kaum, wo man anfangen soll. Am sinnvollsten ist freilich, zuerst einmal Dawn McCarthy vorzustellen, denn hinter dem hierzulande weniger bekannten Namen verbirgt sich eine Musikerin, die bereits auf eine respektable Laufbahn zurückblicken kann. Dawn „The Faun“ McCarthy entstammt sowohl der Musik- als auch der Theaterszene und ist seit rund fünfzehn Jahren Frontfrau bei The Faun Fables, die mit ihren verrückten Konzeptalben einen unverzichtbaren Beitrag zum letzten Folkrevival geleistet haben, wenngleich ihre Musik meist unterhalb der Wahrnehmungsgrenze deutscher Pseudoindies und ihrer Hochglanzpostillen blieb. Americana und World Music treffen dort auf einen bizarren Popsurrealismus, der auch Amanda Palmer-Fans gefallen könnte.

Mit Will Oldham alias Bonnie ‘Prince’ Billy kreuzen sich ihre Wege nicht zum ersten mal, denn sie steuerte bereits zu einem seiner besten Alben, dem in Island aufgenommenen „The Letting Go“, Gesang bei. Beide haben viel bei Drag City herausgebracht und sind auf David Tibets großartiger Benefitz-Compilation für Ärzte ohne Grenzen vertreten. Beide teilen auch ein Faible für eigensinnige Hommagen, wofür sich Oldham auf seiner „Ask Forgiveness“-EP auf unvergleichliche Weise „entschuldigte“. Die Everly Brothers mochten beide wohl schon als Kinder, sie lehrten ihnen das Tanzen und was es heißt, bei einer Schmachtmelodie und Liebeslyrik eine Gänsehaut zu bekommen. Die Liebe zu dieser frühen Boygroup, deren Mitglieder Don und Phil Everly wirklich Brüder sind, blieb bis heute lebendig, längst hat Dawn auch ihre Kinder auf den Geschmack gebracht. Als im letzten Jahr die Frage aufkam, ob man mit alten Klassikern der Kapelle wohl etwas Neues auf die Beine stellen könnte, ohne den eigenen Stil zu verbiegen, dachten die beiden nicht an Vorzeigeschmonzetten wie “Bye Bye Love”, “Wake Up Little Susie“ oder „All I Have To Do Is Dream“, die zu jedermanns Kulturgut gehören und mitdefinieren, was man unter „Fifties“ versteht. Für die vielen Musikschätze, die die Brothers unter ihren großen Hits versteckt haben, schien ihnen die Zeit dagegen reif. Kaum ein Song, dessen Cover den Weg auf das neue Album gefunden hat, ist auch nur annähernd so bekannt wie diese Hits.

Gerade aus Oldhams Perspektive kann es sich bei dem Vorhaben kaum um die Aneignung eines völlig fremden Kosmos gehandelt haben, denn er teilt mit seinen Idolen nicht bloß die regionale Herkunft in Kentucky (einer der gecoverten Songs ist dem Bundestaat gewidmet), sondern auch eine unüberhörbare Vorliebe für die Musik der Apallachenregion, mag seine Herangehensweise auch idiosynkratischer wirken als die Musik seiner Idole. An diese Passgenauigkeit, aber auch an die verlorene Unschuld des amerikanischen Radiopop, musste ich schon beim Opener „Breakdown“ denken, dessen Original die Brüchigkeit fehlt, die das Cover über eine fragile Instrumentierung und die Eigenart der beiden Stimmen vermittelt – Dawn mit ihrem Sopran, der stets gleichermaßen sanft und herb klingt, und Billy mit einem stets brüchigen Timbre, das auch an der Grenze zum Tremolieren noch bodenständig wirkt. All dies tut dem Song nicht das geringste an und bedeutet keineswegs, dass die Interpretationen von nurmehr subkulturellem Interesse wären, und dennoch: Geändert haben sich die Zeiten definitiv, und McCarthy und Oldham geben sich keinen nostalgischen Träumereien hin.

Wenn in „So Sad“ stets klar ist, wann der nächste Gesangswechsel stattfindet, und wenn in „Empty Boxes“ zu stimmungsvollen Oboon Verse wie „ And I am like a match that slowly burns“ erklingen, dann wirkt das nicht im mindesten trivial. Gerade Oldhams Gesang vermittelt beinahe automatisch eine Tiefe, mit der selbst ein Satz wie „I love you“ wie eine unerhörte Offenbarung anmuten muss, und seine Stimme hätte aus den Liedern auch dann etwas vollkommen Neues gemacht, wenn sie ansonsten komplett originalgetreu nachgespielt worden wären. Der Song mit seinen anrührenden Duettpassagen erinnert leicht an mexikanische Musik, und überhaupt ist das Panorama traditioneller Stilzitate eine der großen Stärken des Albums und ein Garant für die Eigenständigkeit der Interpretationen. Bei einer Up-Tempo-Nummer wie „Milk Train“ kann man zum Akkordeon schunkeln, das vergleichsweise bekannte „Devoted to you“ wird durch ein starkes Cello geerdet und „What Am I Living For“ zahlt den Country-Wurzeln Oldhams und der Brothers Tribut. Mit der Zeit registriert man immer mehr, dass eine ganze Reihe fähiger Leute im Studio mitwirkten und die Sammlung zu einem farbenfrohen Mosaik geraten ließen. McCarthy hat u.a. ihren Freund und Faun Fables-Kollegen Nils Frykdahl mitgebracht und Oldham seinen alten „Superwolf“-Mitstreiter Matt Sweeney, und dann ist da ja noch Pete Townsend. Der ohne “h” allerdings.

Das Ziel, dass die beiden sich mit dem Album gesetzt haben, besteht in einen Zugänglichmachen vergessener musikalischer Größe unter den Voraussetzungen einer neuen Zeit. Nicht Kenner der Popkultur oder nostalgische Altrocker sollen angesprochen werden, sondern die Zwanzig- und Dreißigjährigen von heute, weswegen man stilistisch auch nicht auf Revival, sondern auf Verjüngung setzt. Unter den ganz Jungen, die heute ohnehin ihr Taschengeld eher für Spiele als für Tonträger hinblättern, wird „What The Brothers Sang“ sicher kein Gassenhauer wie einst die Originale. Aber so ist es gewiss nicht gemeint und man sollte sich ohnehin nicht von hoffnungslosen Idealvorstellungen frustrieren lassen. Gut ankommen wird das Album garantiert.

Label: Domino Records