„Addis“ ist nicht das erste OM-Stück, das auch in einer Dubversion vorliegt, und doch eines, das sich mit am ehesten dazu anbietet. Der Grund dafür ist inhaltlicher Natur, denn der Titel spielt auf die „neue Blume“, die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba an, die im Rastafari-Glauben eine so wichtige Rolle spielt, ebenso wie der als gottgleich betrachtete äthiopische Kaiser Haile Selassi. Rastafari, eine im frühen 20. Jh. entstandene Religion christlich-messianischer Prägung, ist eine zentrale Einflussquelle für viele jamaikanische Musikarten und ihre Ableger weltweit. Auch Christine Woodbridge und John Sprosen, die mir ihrem Projekt Alpha & Omega zu den führenden britischen Roots Dub-Exponenten gehören, haben immer wieder Rastafari-Themen verarbeitet. Gewiss haben sie sich nicht grundlos für den ersten der meisterhaften „Advaitic Songs“ entschieden, um ihm eine komplett neue Gestalt zu geben.
Das Original ist ein erdiges und zugleich hynotisches Stück, und fungiert auf dem letztjährigen Album als Intro, auch wenn dieses Wort die fesselnde Anziehungskraft der mantraartig gesungenen Sanskrit-Worte und die Erdverbundenheit der Streicherklänge beinahe trivialisiert. Erst gegen Ende, von Kate Ramseys Gesang längst in die angemessene Konzentration versetzt, bekommt man Al Cisneros’ Bass zu hören, der auf OM-typischere Strukturen vorausweist. Das mit einfachen Mitteln erzeugte Charisma und die Verknüpfung spiritueller Aspekte aus ganz unterschiedlichen Religionen lassen aber auch hier einen vollständigen OM-Song entstehen. Die vielleicht offensichtlichste Veränderung, die Alpha & Omega auf beiden Seiten der 12”-Dubplate einbringen, ist ein Moment der Zerstreuung, eine Gelöstheit, die dem schwebenden und doch in sich ruhenden Charakter des Originals fern liegt, mag dieses auch noch so weit vom oft unterstellten Doom Metal und seiner fatalistischen Schwere entfernt sein. Dies ist garantiert beabsichtigt, bedenkt man das auffällige Foregrounding der elektronischen Rhythmen, welche die zeitweise verfremdete Stimme vorübergehend aus dem Zentrum holen und zu einem Element unter mehreren machen.
Mit „Ababa Dub“ findet ich auf der ersten Seite der etwas experimentierfreudigere Mix, wobei die Briten ein gutes Gespür demonstrieren für die mysthische Ausstrahlung der Rezitation und sich in puncto Verspieltheit respektvoll zurückhalten. Die Raumklangeffekte bleiben somit ebenso dezent wie das bewusst etwas aus dem Takt geratene Zusammenspiel von Stimme und Perkussion. Neben dem Mantra sind es v.a. die Celloparts und ihre orientalischen Melodien, die an die ursprüngliche Version anknüpfen. „Addis Ababa“ auf der zweiten Seite unterscheidet sich von dieser Version nicht gravierend, ist aber etwas opulenter und melodischer ausgestaltet. Punktuell meint man neben diversen Dub-Spielereien fast Augustus Pablos Melodika zu hören, und gegen Ende werden auch noch einmal Cisneros’ Bassläufe aufgegriffen.
Ich bin etwas zwiegespalten: Auf der einen Seite haben Alpha & Omega aus dem Stück all das Tanzbare, aber auch Verspielte und Relaxte herausgeholt, das als Potential unter der Oberfläche des Songs verborgen ist, und für sich betrachtet funktionieren die Versionen einwandfrei. Auf der anderen Seite bewirkt Kate Ramseys Rezitation und die schon im Original nur minimale Präsenz von Drums und Bassgitarre, dass man aus den Remixes nur noch wenig OM direkt heraushört. Wem es ähnlich geht, wer durchaus noch mehr OM und insgesamt auch etwas klassischeren Dub gemocht hätte, der darf sich aber schon auf das nächsten Dubplate zu „Gethsemane“ freuen. Mehr dazu und zu Cisneros’ kommender Solo-EP in Kürze.
Label: Drag City