MACELLERIA MOBILE DI MEZZANOTTE: Black Lake Confidence

Die Band mit dem Kürzel MMM nennt ihren Stil Swing Noir und wird erwartungsgemäß gerne mit dem Film Noir in Verbindung gebracht. Zurecht, in gewisser Weise, haftet ihren dunklen, angejazzten Soundscapes doch das Schattenhafte, Abgeklärte an, dass konstitutiv ist für die schwarze Serie und ihre lonerhaften Antihelden. Und doch beinhaltet die Musik etwas, das mit den bewegten Bildern der 40er und 50er Jahre nur bedingt vereinbar ist, ein entgrenzter, splatterhaft-animalischer Ton, der schon im Clive Barker entlehnten Bandnamen anklingt und die vornehme Abgewetztheit dieser Filme immer nur als zitathaftes Echo offenbart. Ob Philip Marlowe wohl den Sprechgesang gemocht hätte, der bisweilen an grindiges Growlen erinnert? Ich schätze, er hätte es halbstark gefunden, falls er dieses Wort schon kannte. Die eigentliche Stimmung der Macelleria entspricht einer Idee von Noir, die bereits durch die schrille Drastik des Giallo gegangen ist, und ich denke dabei v.a. an Fulci, den großen Nihilisten dieser Ära. Natürlich kann man sich auch auf einen Schreiber wie James Ellroy einigen.

Wie die meisten Doom Jazzer kommt Adriano Vincenti, die treibende Kraft der Band, nicht vom Jazz, sondern hat seine Wurzeln in einer subkulturellen Musik, die ohne Punk und Industrial nicht denkbar wäre. Gerade letzteres hört man vielen Aufnahmen auch an, da sie stark von Sampling, von kollagenhafter Reisbrett-Konstruktion geprägt waren. “Black Lake Confidence” stellt eine Veränderung dar, da MMM mittlerweile zu einer Band im klassischen Sinne avanciert sind und folglich ein gewisser Livesound dominiert. Statt Post-Industrial mit Swing-Zitaten nun ein grooviger, ambienter Cooljazz mit sorgsam dosierten Noiseeffekten. Trotz allem hat auch das sechste Album der Band einen stark hörspielhaften Zug, wohingegen Songs im eigentlichen Sinne nur kurz anklingen, wie eine reizvolle Idee, die letztlich keiner Ausführung mehr bedarf.

Die Geschichten, die hier kollagenartig überblendet werden, drehen sich um Mordfälle, die im allgemeinen Bewusstsein längst zu modernen Mythen herangereift sind, ähnlich den Orten, an denen sie sich ereigneten. Es sind Geschichten von unterschiedlicher Irrealität: Die Ermordung eines US-Präsidenten während einer Parade in Dallas, eine der großen westlichen Politmythen, wurde primär von den Realitätsproduzenten TV und Radio verklärt, die auch hier den sprachlichen Teil via Sample bestreiten. Die fiktive Dorfschönheit Laura Palmer würde wie alle Soap-Charaktere im allgemeinen Bewusstsein längst das Eigenleben einer realen Person führen, wäre es nicht ausgerechnet ihr früher Tod gewesen, um den David Lynch seinen Twin Peaks-Stoff gebaut hatte. MMM huldigen dieser Folklore mit einem Cover von „Just You And I“, dessen Sentimentalität fast verschämt hinter den düsteren Klangwelten hervorlugt. Wilma Montesi, ein hierzulande vergessenes Model, sitzt zwischen all diesen Stühlen, denn in ihrem Mord trafen die Stränge der Alltagsrealität und der semirealen Halbwelt des Showbiz zusammen.

Die musikalische Seite könnte auch einen echten Film untermalen und ist ebenso heterogen wie der assoziativ verwobene Stoff. An vielen Stellen gebiert sie sich als leichter, in der Luft schwebender Ambient, bei dem Saxophon und trippige Beats für Lounge-Kolorit sorgen und pathetische Engelschöre das Irreale unterstreichen. Hat man sich erst richtig auf die Musik eingelassen, erscheint sie auf einmal tonnenschwer. Alles ist im Fluss, bisweilen sorgt stimmungsvolles Gitarrenpicking für regelrechtes Shoegazerfeeling, aber Vincenti lässt es dabei nicht bewenden. Passagen, die nach echter Jazzkapelle klingen, unterbrechen das Idyll, abgelöst von Lala-50s, von monotonen Rhythmen, von rührseligen Klavierpassagen, von hartem, fast noisigem Saxophon u.s.w.

Man ahnt es schon, Längen weisen die gut vierzig Minuten von „Black Lake Confidence“ kaum auf, was neben der konzeptuellen Geschlossenheit auch die größte Stärke des Albums ist.

Label: Trips und Träume