Seit ihrer Wiedergeburt als Indie legen Mute einen besonderen Schwerpunkt auf den historiografischen Aspekt ihrer Veröffentlichungspolitik, womit nicht nur die Geschichte des Labels gemeint ist, sondern mit Größen wie Laibach oder Crime And The City Solution auch die Geschichte der Subkultur der letzten gut dreißig Jahre. Dass die Reihe an (Re-)Releases der Sheffielder Pioniere Cabaret Voltaire ausgerechnet mit der neuen Vinylauflage ihres dritten Albums „Red Mecca“ (Rough Trade 1981) startet, ließe sich mit der Scharnierfunktion des Albums erklären, denn es stellt in mehrerer Hinsicht einen End-, Anfangs- und Wendepunkt in der Diskografie der Briten dar.
Auf „Red Mecca“ ist zum letzten mal Christopher Watson zu hören, der in der Folge bekanntlich Teil von MacKenzies The Hafler Trio wurde und anschließend primär auf Solopfaden experimentierte. Des Weiteren findet sich auf dem Album zum letzten Mal dieser von eigenwilligem Feedbacklärm überschüttete Analogsound mit seinem schon immer leicht tribal anmutenden Takt, der die Band in den 70ern prägte und ihr fast zwangsläufig ein Zuhause im gerade angesagten Industrial verschaffte, auch wenn man bei dem dreckigen Minimalismus aus heutiger Sicht eher an Punk und abseitigen Wave-Pop denken muss. Ebenso präsent sind hier aber bereits Ansätze all der Klänge, die den weiteren Weg der verbliebenen Cabs Richard H. Kirk und Stephen Malliner begleiten werden: funkige Elektronik, Jazzzitate und eine Rhythmik, die sich außereuropäischen Einflüssen verdankt. Auch klangliche Elemente sogenannter Weltmusik finden sich auf „Red Mecca“, die hier ausschließlich orientalischen Ursprungs sind und dem vagen Konzept des Album entsprechen.
Den zeitgeschichtlichen Hintergrund bilden die politischen Umwälzungen im Afghanistan der 70er. Ein paar Jahre zuvor kam es zum Staatsstreich durch die kommunistische „Afghanische Volkspartei“, die aufgrund ihrer inneren Gespaltenheit kaum Stabilität zustande brachte, was dann zum Einmarsch der Sowjets führte. Die folgenden Unruhen dauern bis heute an, und in früheren Interviews setzte Kirk die Ereignisse in einen epochalen Querschnitt, zog Verbindungen zwischen dem gleichzeitigen Aufkommen von Islamisten und Evangelikalen, sowie zur Zuspitzung des östlichen und westlichen Hegemonialstrebens. Der symbolträchtige Titel „Red Mecca“ umfasst all dies, denn neben der kommunistischen und religiösen Semantik offenbart sich auch der westliche Blick, der all dies gerne in griffige Stereotypen packt.
Dass das Album eher Reaktion als Komentar ist, offenbart sich in der Punktualität des Themas auf musikalisch-textlicher Seite, was dem Titel recht unterdeterminiert erscheinen lässt. Es begnügt sich in einem fremdsprachigen (arabischen?) Sample über groovigen Bassläufen in „Black Mask“ und der orientalischen Melodie in „A Thoussand Ways“, die zusammen mit der spacigen Orgel und altertümlichen Maschinensounds eine verdrehte, psychedelische Stimmung entstehen lässt. Viele der Songs haben die kompakte Straightness, die jeder nostalgische Clubgänger an einem Überhit wie „Nag Nag Nag“ liebt, doch stets begleiten Berge unaufgeräumten Soundmülls den Taktschlag und machen jedes Gruftiediskoidyll zunichte, für das die demonstrativ nach hinten gemischten Vocals ohnehin zu viel des Guten waren. Wie zur Untermauerung der eigenen Unberechenbarkeit verbreitet der hörspielartige Vor- und Nachspann, eine lupenreine Dekonstruktion von Henry Mancinis „Touch of Evil“-Soundtrack, ein kaputtes Lounge-Ambiente, das einige Dark Jazzer um Jahrzehnte vorwegnimmt.
In den letzten Jahren sind Cabaret Voltaire ein bisschen zu einer Band mutiert, zu der jeder subkulturell interessierte Hörer eine respektvolle Meinung hat, der jedoch zugleich wenig Bezug zur Jetztzeit zugestanden wird. Dass ihre klassischen Werke nicht derart im Gedächtnis der Industrial-Hörer verankert sind wie TG, SPK oder NON könnte mit oben genannten Gründen zusammenhängen und könnte zugleich ein Beleg für jemanden wie Simon Reynolds sein, der in Rip It Up And Start Again den bedeutsamen, quantitativ aber überschaubaren Industrial lediglich als Teil des ohnehin sehr heterogenen Punk’n'Wave-Phänomens gelten lies. Wie dem auch sei lohnt eine Auseinandersetzung mit CV durchaus. Bleibt zu wünschen, dass diese Wiederveröffentlichung und die bald folgenden dazu einen Anstoß geben. (U.S.)
Label: Mute