Dass Noisemusiker nebenher ein Akustikprojekt betreiben oder ab einem bestimmten Alter sogar komplett auf Folk umsatteln, ist vielleicht nicht die Regel, aber durchaus auch nicht ganz ungewöhnlich – haben beide Großsparten doch einen so diametralen Bezug zu Materialismus, Geschwindigkeit und Disharmonie, dass man sie kaum ohne Bezug zueinander denken kann. Es gibt Fälle, die wie ein Kompensieren des Atonalen durch trivialen Schmalz anmuten und an das berühmte Diktum denken lassen, dass Sentimentalität und Grausamkeit oft nah beieinander liegen. Natürlich gibt es auch äußerst gelungene Beispiele, bei denen auch im akustischen Gewand die Spuren des Schrägen gewahrt bleiben. Überlegt man eine Weile, fallen einem eine ganze Reihe westlicher Künstler dazu ein, doch auch auf der anderen Seite des Erdballs findet sich dieses Phänomen, bislang am prominentesten vertreten durch Jun Konagaya alias Grim und seine von eigenwilligen Überraschungen geprägte Diskographie.
Seit diesem Sommer darf man dieses Thema nur noch ansprechen, wenn man dabei auch Hedoromeruhen erwähnt. Hinter dem Zungenbrecher (der wohl so etwas wie “Abwassermärchen” bedeutet) verstecken sich zwei Haudegen der japanischen Gegenkultur, die bisher v.a. durch die bildende Kunst verbunden waren. Da wäre zum einen Daisuke Ichiba, der neben Videoarbeiten v.a. als Zeichner einen Namen hat und durch seine splatterhaften Erotikdarstellungen bekannt ist. Bekannter hierzulande noch ist Yasutoshi Yoshida, nicht einmal primär für seine bunten Kollagen, die Techniken und Humor der klassischen Avantgarde wiederbeleben, sondern für sein musikalisches Werk, für den psychedelischen Harsh Noise, den er unter seinem Pseudonym veröffentlicht: Government Alpha.
Oberflächlich betrachtet ist der Musiker Yoshida also eher in seinem Element als der bislang nur visuell aktive Kollege, genau genommen sind akustische Songs jedoch für beide Neuland. Noch genauer betrachtet enthalten die fünfzehn Songs alle Attribute, die man von beiden Künstlern kennt und liebt: kantig, spartanisch, dilletantisch, lofi, sprunghaft, kaputt würden mir da als erstes einfallen, und natürlich ist Folk unter der Voraussetzung ein Genrebegriff, der unter Vorbehalt fallen sollte. Nahezu alle Passagen des Albums sind von starken Kontrastierungen geprägt: Ohne Vorwarnung gehen mysthische Flöten und Trommelklänge über in das Feedbackrauschen deftiger Noiserock-Momente, kurz anzitierte Jazzgitarren leiten über in akustische Rockriffs, und irgendwann ist man mittendrin im Govt. Alpha Harsh Noise – für zwanzig Sekunden. Anarchischer Humor allerorten, von der Art, dass man zwischen Schlumpfgesang und Spielzeugsound auch einen Noddy auf Speed erwarten würde, und stets dominiert das Gefühl, dass sich Spaß und Herzblut die Waage halten.
Hedoromeruhens Debüt bietet einen anarchischen Antifolk, der auch auf Thursden Moores Ecstatic Peace-Label seinen Platz gefunden hätte, und ich hoffe sehr, dass das Werk in Europa nicht untergehen wird. Einen Eindruck von den eingängigeren Momenten des Albums kann man sich im Video zu „Bloody Doorway“ verschaffen. (U.S.)
Label: Hedrodata