NURSE WITH WOUND AND GRAHAM BOWERS: Parade

Die neue Gemeinschaftsarbeit von Stephen Stapleton und dem walisischen Komponisten Graham Bowers ist schon optisch eine solche Augenweide, dass man sich endlos lange damit befassen könnte. Von weitem erinnert das bunten Frontcover an Arbeiten von Yasutoshi Yoshida alias Govt. Alpha, man denkt vielleicht auch an Hannah Höch, und auf der Innenseite des Digipack befindet sich eine Kollage, die deutlich auf die Gemüsemänner Acrimboldos anspielt. Dass ich zudem an barocke Stillleben denken muss, ist sicher auch nicht nur meiner überbordenden Fantasie geschuldet. Für Nurse With Wound-Fans ist dieses schamlose Zusammenklauben von Querbezügen und ihre Neuanordnung in fantastisch-surrealen Parallelwelten natürlich nicht neu. Im Rahmen von „Parade“ stammt ein Großteil der Motive von Graham Bowers, der neben seinem musikalischen Werk auch als Maler und Bildhauer aktiv ist. Von Stapletons alter ego Babs Santini wurden die Motive dann umgestaltet und ergänzt, auch vollbusige Pinups a la Sylvi und Babs haben ihren Auftritt.

Der Exkurs aufs Visuelle ist auch deshalb interessant, weil hier die musikalische Herangehensweise gespiegelt wird. Stapleton und Bowers kannten und schätzten das Werk des jeweils anderen bereits seit Jahren, und als sie sich 2011 beim Wet Sounds-Festival trafen, war schnell der Grundstein gelegt für eine Reihe von fruchtbaren Zusammenarbeiten. Die erste Wegmarke „Rupture“ erschien schon wenige Monate später und fand jüngst auf „Parade“ ihre Fortsetzung. Bowers selbst nennt als Grundmotivation seiner Arbeiten die audio-visuelle „observation of mankind’s physical, mental and spiritual properties, with respect to life and each other“ und offenbart eine Sensibilität für die narrative und projektive Natur menschlicher Selbstbilder. All dies schlägt sich auch in den Arbeiten mit NWW nieder, wo dies konsequent im Grenzbereich, im Übergang zum Zusammenbruch und zum Wahn inszeniert wird. Auf „Rupture“ erfolgte dies noch ganz konkret als sprunghafter, inkohärenter Erinnerungsstrom eines Sterbenden in den letzten gut sechzig Minuten nach einem Hirnschlag. Die Grundthematik wird in „Parade“ aufgegriffen, ebenso die Mischung aus Drastik und schwarzem Humor, wenngleich das Thema hier allgemeiner umgesetzt wird: „Parade“ lässt das Leben im Zeitrafferverfahren als abstruse Cheerleade-Parade vorbeiziehen, und stets sind es die bizarren Elemente, die dabei besonders ins Auge fallen – wie kleine groteske Zeichnungen in einem Notizblock, an denen das Auge hängen bleibt, während die Hand die Seiten zügig weiterblättert.

Der Strom fragmentarischer Details und der Veruch ihrer Bannung in feste Formen ist das eigentliche große Thema des Albums und zugleich die Stelle, an der sich eine gelungene Arbeitsteilung vollzieht. Stets sind es Sounds mit der unverkennbaren Handschrift Stapletons, die meist recht überraschend und in unbestimmbarer Gestalt auftauchen, um vom Gesamtbild des Albums verschlungen und einverleibt zu werden. Dieser Rahmen ist v.a. der Beitrag Bowers, der all seine Arbeiten einmal primär als „Strukturen“ bezeichnet hat. Sie erscheinen hier als vielschichtige, orchestrale Klanglandschaften, mal von bedrohlicher Unbestimmtheit, mal voll eindringlichen Bombasts, als technoide oder martialische Rhythmen, als dunkles Dröhnen. Nie lässt sich abschließend sagen, ob die Struktur die Details zu bändigen weiß oder doch eher an ihnen scheitert. Wenn kleinteiliges Gebimmel, blechernes Rasseln, Gesang vom Grammophon und merkwürdige Bläserpartikel bis zum Ende herausragen, hat man das Gefühl, einer ehrlichen, (über-)realistischen Erzählung gelauscht zu haben, die zwar kein glatt-homogenes, aber dennoch kohärentes Bild entwirft.

In der Diskographie von NWW sollten die Kollaborationen mit Bowers einen eigenen Ort für sich beanspruchen, wenngleich Reminiszenzen auf ganz frühe Werke, aber auch auf jüngere Arbeiten wie „The Surveillance Lounge“ anklingen. Die nur seltren so virtuos aufrecht erhaltene Balance von Monumentalität und Chaos wurde anderswo schon vorsichtig mit frühen Current 93 verglichen, gerade in den rhythmischen Momenten (bspw. in „Apes and Peacocks“, „A Tissue of Deceit“ oder „Rats, Cats and Dogs“) kamen mir Test Dept. in den Sinn. Aber solche Vergleiche sollten bestenfalls neugierig machen, selbstverständlich hoffen wir alle auf weitere Variationen des faszinierenden gemeinsamen Themas. Ein dritter Teil ist immerhin bereits geplant. (U.S.)

Label: Red Wharf