Unter dem Begriff Anarcho-Punk fasst man eine gute Handvoll meist englischer Bands, die in recht unterschiedlichen Kontexten entstanden sind, sich in ebenso unterschiedliche Richtungen fortentwickelt haben und die unterschiedlichsten Themen beackern. Sie entstanden auch keineswegs zeitgleich und existierten unterschiedlich lange. Dennoch gab es immer eine Reihe an Gemeinsamkeiten, die das etwas allgemein wirkende Genrelabel rechtfertigen. Ein interessanter Weg, dem gemeinsamen Nenner auf die Spur zu kommen, wäre ein Vergleich mit der etwa parallel entstandenen Straight Edge-Variante des amerikanischen Hardcore, denn diametraler könnten zwei Punkphänomene, die beide jenseits der Prollkultur stehen, kaum sein.

Anarchopunks sind Kulturalisten, Straight Edger sind Hüter der Zivilisation. Musiker wie Penny Rimbaud verbanden ein Leben jenseits des kapitalistischen Mainstream mit einem Hedonismus, der niemandem so sehr geschuldet ist wie der situationischen Internationalen, Verlotterung war erlaubt, Ornament kein Verbrechen. Bands wie Youth of Today und ihre Anhänger dagegen verbanden ihre revolutionäre Haltung mit Ordnung, Askese und einem kaum zu übersehenden Jakobinertum. In ihrer Aversion gegen die Ausschweifung offenbart sich ein Hang zum Ressentiment, eine bekannte Band aus dem Umfeld schrieb einen Protestsong gegen Mobbing durch schwarze Mitschüler. Veganismus ist eine der Säulen ihrer Ideologie, der typische Crass-Punk ist vermutlich Vegetarier, dem Klischee nach Selbstversorger. Anarchos interessieren sich für ein Jenseits der instrumentellen Vernunft und betrachten Hippies als Vorläufer des Punk. Bei den Kollegen wäre dies ebenso undenkbar wie eine Lovecraft-Hommage oder gemeinsame Arbeiten mit Coil oder Current 93. Man hätte auch keine EP „Archaic“ betitelt – womit wir bei Rudimentary Peni angelangt wären, deren Gesamtwerk derzeit komplett bei Southern neu aufgelegt wird.

Rudimentary Peni – muss man die Band um Nick Blinko, der auch als Zeichner und Autor bekannt ist, noch vorstellen? – zählen zu den langlebigsten Gruppen des Genres und haben seit den frühen 80ern alle paar Jahre brilliant gestaltete Longplayer und EPs herausgebracht. „Archaic“ erschien vor knapp zehn Jahren auf dem bandeigenen Outer Himalaya-Label und ist der jüngste der nun in kurzen Abständen folgenden Re-Releases. Langlebig heißt in dem Fall auch, dass es trotz der bewegten Biografien der Musiker keine allzu großen Stilveränderungen gab, denn in den gewohnt kurzen Songs auf „Archaic“ gebärden sich Rudimentary Peni so adrenalinhaltig, nihilistisch und – „archaisch“ wie eh und je. Es gibt aber auch Dinge, die in dem etwas breiteren Sound der Nullerjahre besser zur Geltung kamen. In der kraftvollen Wand aus tiefgestimmten Gitarren und den stampfenden Stakkatorhythmen gedeiht der negative, apokalyptische Heroismus, der die Riffs und Parolen durchweht, besonders gut, und gelegentlich kippt Blinkos Shouting mehr als zuvor in infernalisches Gekeife. Kein Wunder, das auch Black Metaller den Sound dieser „Friedenspunks“ (Moynihan/Söderlund) mochten. Neben apokalyptischem Furor gibt es vereinzelt Momente, die so etwas wie die Ruhe vor, oder besser die Ruhe im Sturm verkörpern. Im Midtempo proklamiert Blinko die „decades of decay“ und Grant Matthews erinnert mit seinen urigen, grummeligen Bassläufen daran, dass man es hier mit etwas Naturwüchsigem zu tun hat.

Oberflächlich spielen die drei Briten eine Musik, wie man sie seit Jahrzehnten kennt, bekannte Riffs, bekannte Wechsel und Brüche im Tempo, vertrauter hymnischer Gesang – eben eine besondere Art von Folklore, perfekt zugeschnitten auf eine harte Endzeit, zu deren letzten Sprachrohren sie sich zählen: „Most will fail and all will die so non should live to tell the tale“.

Label: Southern