M.I.A. zählt zu den ewig polarisierenden Grenzgängerinnen, und so wie es aussieht, wird sich dieses Image über die Jahre eher noch mehr verfestigen. Die einen feiern sie, vielleicht etwas naiv, als Heldin einer forschen Imperialismuskritik. Andere unterstellen ihr Doppelmoral und einen verkürzten Blick auf ihre Lieblingsthemen, ganz zu schweigen von ihrem Drang zur Selbstinszenierung. Eine dritte Gruppe sieht das alles nicht so eng, findet, dass eine Rapperin keine zweite Naomi Klein sein muss, würdigt die rotzige Riot Grrrl-Sexyness und sogar den eigentlich belanglosen Mittelfinger beim letztjährigen Superbowl, schon alleine, weil er der Hauptfigur Madonna die Show gestohlen hatte. Und einer Kravallgöre, die wegen ein paar provokanter Zeilen ein Visa gestrichen bekommt, verzeiht man auch, dass sie sich schon mal nachträglich für vorlautes Kollegenbashing entschuldigt. Und wurde sie nicht ohnehin längst von Martin Rev geadelt, der mit ihr auf der Bühne „Born Free“ zum Besten gab, für das sie sich zuvor freimütig bei Suicides „Ghost Rider“ bedient hatte?
Die alte Leier ihrer Kritiker findet man nicht ganz unzutreffend, aber auch abgenudelt und obsolet. M.I.A., die frühere Bürgerkriegsflüchtige, die immer noch Lanzen für die Verdammten dieser Erde bricht, obwohl sie selbst längst wie ein Popstar lebt und ihre Musik über große Konzerne vertreiben lässt. M.I.A., die in ihren Texten den totalitären Markt verhöhnt, während die fetten Sounds dazu nach Spektakel und Hightech klingen. Die sich den Arabischen Frühling als Abenteuerurlaub für schöne Rebellinnen vorstellte. Ist alles richtig. Dennoch: Es gibt Kapitalismuskritik, die so schlecht ist, dass gar keine besser wäre. Aber es gibt auch solche, die ihre Defizite hat und trotzdem Spaß macht, weil es auch irgendwie wieder „nur“ Musik ist und man es ja selbst besser machen kann.
Das neue Album stand seit Ewigkeiten in den Startlöchern und hätte schon vor einem Jahr draußen sein können, wenn es nicht zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Label gekommen wäre. Der Grund ließ nichts Gutes erwarten: Es sei zu fröhlich, nicht „negativ“ genug, und als man nach der soliden Vorab-Single „Bad Girls“ das dancige „Come Walk With Me“ zu hören bekam, befürchtete man, das Label könnte recht haben. Eine Art Electropunk, aber mit stark gedrosselter bis kaum noch vorhandener Wut und gesanglicher Manierismen, für die man vielleicht zu CocoRosie greift, aber nicht zu M.I.A. Die angekündigten Ethno-Elemente aus der Heimat ihrer Familie – prinzipiell nichts schlechtes – schienen dann auch nicht gerade zu dem zu passen, was man so mit ihr verbindet. Der dritte Blick durchs Schlüsselloch, „Bring the Noise“, stimmte dann versöhnlicher, denn hier reimte sich „rich“ auf „bitch“ und knarrige Electrosounds treffen auf hektische Beats zum Rumboxen. Nun ist „Matangi“ endlich draußen, und da sich der Frohsinn doch noch relativ in Grenzen hält, dürfen alle Fans aufatmen.
„Matangi“ – benannt nach ihrem Vornamen, sowie nach einer Hindu-Göttin und Schutzpatronin der Künste – ist persönlicher ausgefallen, aber ebenso wie der Sprung zu mehr Freundlichkeit ist auch dies nur eine kleine Akzentverschiebung, denn genau genommen waren alle M.I.A.-Alben Ausdruck ihres Befindens, gespickt mit persönlichen Anekdoten und trotzigen Seitenhieben. Und “Gesellschaftskritik und Verschwödungstheorien”, wie jeder schreibt, finden sich auch hier. Ich muss gestehen, dass mich der Sound ihrer schnoddrigen Endlosnörgeleien schon bei “Karmageddon” derart in Bann zieht, dass ich die inhaltliche Auseinandersetzung auf später verschoben habe. Eigentlich wäre das Titelstück die optimale Single-Auskopplung gewesen, denn es enthält alle typischen M.I.A.-Muster: verquere Rhythmen quer durch die Regale der urbanen Musik und schrilles Scratchen, alles in geschliffenem Sounddesign, während sie – in der Rolle der gelangweilten Streetfighterin – stimmlich alles gibt. Ich schätze niemals zuvor wurde ein ganzer Sack Dritte Welt-Länder so cool-indifferent heruntergeleiert.
Wirklich seicht, wenngleich sicher halb ironisch gemeint, präsentiert sich das zusammen mit The Weekend produzierte „Exodus“ (ich bevorzuge die Alternativversion „Sexodus“ am Ende des Albums), dagegen fügen sich die asiatischen Elemente, die oft Intro- oder Schmuckcharakter haben, besser als erwartet ins Gesamtbild ein (besonders gelungen mit „Omm“-Gemurmel in „Warrior“). Auch diesmal („Double Bubble Trouble“) huldigt sie ihrer alten Leidenshaft für rootslastigen Dancehall. Natürlich kann man das alles als kruden Mashup betrachten, nur wer kein Ohr für die vielen roten Fäden in Sound und Performance hat, wird das unzusammenhängend finden.
Gemessen am Trubel und der langen Wartezeit hört man auf „Matangi“ also vergleichsweise Vertrautes, auch der oben genannte Spagat zwischen Kritik und Vermartbarkeit ist der alte, und so wirft ihre Musik auch primär altbekannte Fragen auf. Gelingt es ihr, mit ihrer Masche „das System“ von innen aufzubrechen, oder ist sie längst dabei, von ihm geschluckt zu werden? Die Schnittmenge aus beiden Antworten ist groß, und man kann sich darin lebenslang einnisten und entsprechend polarisieren. Den Berufs-Unken, die jede „regressive Gesellschaftskritik“ auf Ungereimtheiten abscannen um von den eigenen ideologischen Sackgassen abzulenken, wünsche ich weiterhin viel Spaß bei der Erbsenzählerei.
Label: Interscope