Nach all den traurigen Mädchen, die in den letzten Jahren von Musikindustrie und Presse wie Säue durch die Dörfer getrieben wurden, mag man kaum noch darauf hinweisen wollen, dass Lucrecia Dalt nicht nur eine virtuose Klangkünstlerin, sondern auch eine talentierte Sängerin und Songschreiberin ist. Die Kolumbianerin mit Wohnsitz in Barcelona und Berlin hätte aus ihren Alben „Commotus“ und dem neuen „Syzygy“ makellos runde Popwerke mit Auteur-Anspruch machen können, doch ihr stand der Sinn nach mehr. Ihre reduzierte Elektronik könnte sehr kühl und trocken ausfallen, doch auch das wäre ihr vermutlich zu gewöhnlich und vorhersehbar gewesen. Das Besondere allerdings ist, dass all diese ungenutzten Stereotypen in jedem der neun „Syzygy“-Songs ihre Spuren hinterlassen, schemenhaft genug, um die Spannung zu halten, und doch deutlich genug, um die Musik nicht vollends im Abstrakten aufgehen zu lassen.
Ihre Stücke sind durchweg kompakt und von einem permanenten Pulsieren in Bewegung gehalten – schlichte Songs wären sie vermutlich schon dann, wenn ihr fragiler Sopran nur eine Idee mehr im Vordergrund stünde, statt ein integraler Teil des Soundmusters zu sein, in dem klein Klang, kein Akkord, kein Takt zu viel ist. Natürlich würde man auch dann den repetitiven Grundzug der Musik bemerken, der sich in unterschiedlichem Tempo durch das Album zieht und an gemessene Herzschläge erinnert. Auch dann noch würde man über die kleinen Kontraste stolpern, wenn die groovige Bassspur beispielsweise von dramatischen Streicherparts konterkariert wird und im Nu einen ganz eigenen ästhetischen Kosmos entstehen lässt. Doch viele der subtilen Eigenheiten würden dann weit mehr in den Hintergrund rutschen: merkwürdig surreale Klanggebärden, undefinierbares Vibrieren und befremdendes Knistern und Knacken und weitere kleine Grotesken. Öffnet man sich diesen Dingen, bekommt das Album eine ganz eigene Düsternis, in der immer auch Raum für comic relief vorhanden ist. Die Vocals, mal in Englisch, mal in Spanisch oder Catalan, fügen sich überraschend gut ein, das unwirkliche Sounderlebnis lässt sie sogar noch intimer wirken.
Triphop? Sicher nicht im Sinne der 90er, doch auch diesmal ist offenkundig, wie sehr Dalt den typischen Bristoler Harmonien, Klangfarben und Stimmungen verbunden ist. Doch ihre Weigerung, runde Songs zu machen, entfaltet nirgendwo eine solche Wirkung, wie in ihrem eigenwilligen Umgang mit diesen Bezügen. Triphop und verwandte Electronica werden auf einige wesentliche Elemente heruntergebrochen und zusammen mit diversen Filmreferenzen (Antonioni, Bergman, Godard u.a.) und literarischen Zitaten (Benjamin, Calvino u.a.) in den endlosen Fluss des Pochens, Summens und Tönens geschickt. Durch diese neue Bestimmung werden all diese Bezüge ihres musealen Status enthoben, und an der Stelle offenbart auch der Titel seinen Sinn: “Syzygy”, ein Begriff, der auch Troum jüngst zu einem Album inspiriert hat, steht in den unterschiedlichsten Wissenschaften für Verschmelzung.
Label: Human Ear Music