TAKATSUNA MUKAI: Śūnya

Sich auf eine Sparte, ein Genre oder eine Tätigkeit zu beschränken, war noch nie die Sache von Takatsuna Mukai, der bei Theater und Film ebenso zuhause ist wie in unterschiedlichen, meist für ihre Experimentierfreudigkeit bekannten Musikstilen. Wenn er nicht gerade Filmrollen (u.a. „Night Train“, „The Grudge 3“) übernimmt, widmet er sich seinen musikalischen Ideen als Komponist, Produzent oder Virtuose an diversen Instrumenten. Dass dieser Spannbreite nichts Unentschiedenes anhaftet, demonstriert einmal mehr sein aktuelles Album „Śūnya“, eine Sammlung von zwölf kollaborativen Arbeiten. In den jam- oder remixartigen Aufnahmen mit internationalen Künstlern entstand so etwas wie ein Kulminationspunkt seiner bisherigen Arbeiten. Zugleich entpuppt sich das Werk als ein atmosphärisches Ganzes mit einer eigenen, durchgehenden Grundstimmung.

Dass Mukai auf jedem der Songs (an Gitarre, Violine, Elektronik) zu hören ist, macht eine wesentliche Konstante aus, doch die Entstehung des Albums begann zugleich mit einer Aufgabe: Mukai beauftragte jeden der Mitwirkenden, musikalisch und textlich vom Schlüsselbegriff „Śūnya“ auszugehen, was in Sanskrit „null“ bedeutet und die etymologische Wurzel für den Begriff des Śūnyatā bildet – das Wort steht im Buddhismus für die als Kontingenz erfahrene innere Substanzlosigkeit aller physischen Existenz. Aus einem solch weit gefassten Konzept können nun die unterschiedlichsten Ideen erwachsen, doch bietet gerade die nicht-textliche Referenz auch Stoff für Polemiker, die den Kaiser unbedingt nackt sehen wollen. Dem sei hier nur entgegen gesetzt, dass die Qualität der Beiträge auch ohne Spezialwissen keineswegs fällt.

Eine Art Rahmen bilden die drei dronigen Titelstücke, die mit Streichern, Piano und Harmonium eingespielt wurden – das Wechselspiel aus erdigen Celloklängen und dem abgehobenen Tastenspiel kreiert einen artifiziellen Schauplatz, der den restlichen, wesentlich songorientierteren Stücken eine außerweltliche Färbung verleiht, die außerhalb des Albumkonzeptes höchstens unterschwellig vorhanden wäre. Innerhalb des Zusammenhangs bilden die einzelnen Songs Kapitel mit je eigener Ausrichtung. Zu hören gibt es angejazzten (Post-)Rock („Feast Proceeds the Carcass“), Alte Musik in surrealer Verzerrung („Alle Belle Statuine“) slawische Folksongs und punkige Stücke, bei denen man meint, Bowie und Jagger wie anno ’86 in den Straßen tanzen zu sehen, während sich ein wild gewordener MC gegen entfesselte Improvisationen auf dem Altsaxophon behauptet.

Besonders hervor stechen u.a. eine Reihe serbokroatischer Stücke. In „Nafaka“ stimmen Olja Frolo und Alen Zarifović, Mitglieder der kroatischen Folkband Loell Duinn, orientalische Töne an, was sicher auf die bosnischen Wurzeln Zarifovićs zurückgeht und zugleich von den Perkussionskünsten Fritz Catlins (23 Skidoo) lebt, der zahlreiche Instrumente erklingen lässt. „Traktat o Kvakama“ lebt v.a. von den (Flüster-)Stimmen der beiden Schauspielerinnen Adriana Josipović und Kate Marušić. Beide Stücke eint ein derber Grundton, der sich mal folkloristisch, mal mit Mitteln des Punk Bahn bricht. Im scheinbaren Gegensatz, aber gleichsam beeindruckend sind die franzöischen Torchsongs aus der Feder von Noblesse Oblige-Sängerin Valèrie, die sich hier als virtuose Barsängerin entpuppt. Zusammen mit dem melancholischen Text verleiht die verwehte, leicht in den Hintergrund gemischte Stimme der „Ballade Chaotique“einen derangierten Beiklang, der nicht ohne Hoffnungsschimmer ist. Sehr cool dagegen die sexy Doomjazz-Ballade „Rasdiophonique“, der gelungenste Kopfhängersong des Albums.

Das verbindende Element zwischen den musikalisch doch sehr unterschiedlichen Beiträgen erschließt sich nur dem, der sich von der Stimmung auf „Śūnya“ berühren lässt – hinsichtlich der assoziativ ausgerichteten, oft surrealen Lyrics und der sprunghaften musikalischen Gestalt, die lediglich eine leise Schwermut und einen leichten Sinn fürs Skurrile von einem Stück ins nächste hinüberrettet, dreht sich dieses doch am ehesten um die im Titel anklingende Kontingenz. Dass diese nicht beklagt wird, ist sicher für viele abendländische Gemüter nur mittelbar zu verstehen. Mukais Album und die Stimmung der Songs bieten sich jedoch als Mittler durchaus an.

A. Kaudaht

Label: Takatsunamukairecords