Kann man mit so ziemlich allen Mitteln, die einen Popsong unterwandern, übertönen, zerhacken und aus der Balance bringen, etwas auf die Beine stellen, das am Ende doch auf gelungenen Pop hinausläuft? Nein, würden vermutlich alle sagen, die mit Ungenießbarkeiten wie den Dandy Warhols groß geworden sind. Das Resultat solch diabolischer Zerfremdung muss entweder auf etwas rein Negatives hinauslaufen, oder aber auf ein wie auch immer gelungenes Meta-Konzept. Ein Berliner Trio namens Aniaetleprogrammeur hat allerdings gerade den Gegenbeweiß angetreten.
Zu den Personalien: Aniaetleprogrammeur sind Hanrigabriel (Gesang, Gitarre, Synthies) Tata Christiane (diverse Elektronik) und Valquire Veljkovic (Bass, Elektronik und Visuals) und stammen ursprünglich aus Paris. Niemand heißt Ania, programmiert wird durchaus. Ihr Revier im hauptstädtischen Musikzirkus liegt zwischen der von Mueran Humanos beherrschten Postpunk-Region und dancigen Gefilden, in denen man Herrschaften wie Plateau Repas über den Weg läuft. Will man, wenn man schon am Verräumlichen ist, den Schauplatz des Albums festlegen, so kommt man vielleicht auf einen stylischen und zugleich etwas vergammelten Club, der an Zeiten erinnert, als man noch ungeniert Disko sagte. Ob dieser Schauplatz alt oder nur auf alt gemacht ist, bleibt unklar, auch die gehörige Portion nerdiger, und doch nicht allzu jungenhafter Science Fiction hilft einem dabei nicht weiter. Viel interessanter ist ohnehin die Frage, ob sich hier Böses abspielt. Das finstere Gemurmel ganz zu Beginn und die kindliche Spieluhr, die man aus tausend Thrillern kennt, legen das fast nah. Unter „Realism“, so der Titel eines der Stücke, versteht man hier eine leicht ins Verkaterte kippende Surrealität, in der die Dinge – seien es Discobeats oder das verwehte Quietschen einer Sängerin – nur schemenartig auf der Bildfläche erscheinen und irgendwann vollends vom Flimmern und Rauschen absorbiert werden. Der Titel „Low Passion“, hinter dem sich einer der weniger tanzbaren Songs verbirgt, gibt die Stimmung des Albums ganz gut wieder.
Ein allgegenwärtiger Groove behauptet den androgynen Dandysmo gegen das schrottige Rumpeln und Rauschen, gegen nerdigen Computerkitsch und sonstige Futurismen – vielleicht liegt schlicht darin der konsequent aufrecht erhaltene Pop-Appeal. Die herausragenden Momente sprengen zugleich den Rahmen. Dazu zählen das dubbige „Affliction“ und das aggressive „Time Travel“, ein kurzer brachialer Trip in eine Zeit, als Gesten des Widerstands noch mehr als bloße Identitätsschablone waren – schöner Elektropunk, bei der nächsten Pogorunde bitte vor oder nach Plastic Bertrands „Ca Plan Pour Ma“ in der Sonic Youth-Version.
Label: Force Royale/Pale Music