Einen Soundtrack zu besprechen, ohne den Film gesehen zu haben, ist eine ähnliche Aufgabe wie die Beurteilung eines Remixes in Unkenntnis der Originalmusik – sie ist eben bedingt sinnvoll, und das am ehesten dann, wenn das „sekundäre“ Werk auch ohne den ursprünglichen Zusammenhang funktioniert. Auf Jóhann Jóhannssons Musik zu Denis Villeneuves Thriller „Prisoners“ trifft dies m.E. zu, weshalb Spekulationen anhand von Trailern und Filmkritiken auch nicht zur Diskussion stehen sollen.
Es gibt – nicht nur im Ambientbereich, aber besonders dort – eine Reihe an Musikern, deren Aufnahmen derart erzählerische und zugleich visuelle Assoziationen hervorrufen, dass sie für die Komposition von Filmmusik entweder ein besonderes Händchen haben, oder eben besonders ungeeignet sind. Der Isländer Jóhannsson, der nach eigenen Aussagen jeden Klang visuell imaginiert und als Welle im Raum begreift, zählt zur ersten Kategorie, denn das wohl wichtigste Kriterium dafür, die Subtilität, ist bei ihm eine hohe Kunst. Jóhannsson versteht es, zentrale Motive so feinfühlig an den richtigen Stellen zu wiederholen, dass sich die repetitive Struktur erst mit der Zeit bemerkbar macht. Entwirft er poetische, bisweilen besinnlich anmutende Klanglandschaften, dann erweckt die Abwesenheit sentimentaler Schwere nie den Eindruck eines angestrengten Verzichts. Spannungsmomente, die auch in seinen rein musikalischen Arbeiten reichlich vorkommen, zielen nie auf den reißerischen Effekt ab, Düsteres bleibt sorgsam dosiert.
Gerade die Aussöhnung des Gegensatzes von Spannung und Meditation ist eine der Stärken der vorliegenden Kompositionen, bei denen dezente Stimmungen und intensive Höhepunkte freilich ihre Momente haben. An einzelnen Abschnitten, die auf Platte unter Titeln wie „I can’t find them“ und „Surveillance Video“ rangieren, lässt sich erkennen, wie er verschiedene Stimmungkomponenten an unterschiedliche Instrumente und deren Zusammenspiel delegiert: Meist sind es Streicher, die Ruhe und Besinnung einbringen, Holzbläser wiederum versehen einzelne Passagen mit einem Eindruck von Stabilität. Je dunkler es grummelt, je unberechenbarer mit feinen Sounds gespielt wird, desto mehr Elektronik ist im Spiel. Diese ist Teil einer präzisen nachträglichen Studioarbeit, bei der Jóhannsson zusammen mit Musikern wie Hildur Gudnadottir, Thomas Bloch (u.a. Daft Punk, Radiohead) und Erik Skodvin (Svarte Greiner) die Orchesteraufnahmen ergänzt.
Mit Jóhannssons „Prisoners“ begibt man sich in eine Welt subtiler Stimmungsnuancen, in der nur gelegentlich die psychischen Verstrickungen an die Oberfläche dringen, die gut verpackt den Kern auch der musikalischen Narration ausmachen. Zwangsläufig ist dies eine andere Geschichte als die des Films, bei dem man – sollte man erst durch die Musik neugierig geworden sein – auf den Effekt gefasst sein sollte, der sich bei vielen Romanverfilmungen einstellt.
A. Kaudaht
Label: NTOV/Watertower Music