ROMA AMOR: On The Wire

Man könnte es sich einfach machen und die Musik von Roma Amor als Chanson oder Folk bezeichnen. Das wäre nicht einmal wirklich falsch, auch wenn der eine Begriff zu speziell, der andere zu allgemein gehalten wäre. Mit ihrem Grundinstrumentarium aus Akordeon und Gitarre und dem leidenschaftlichem Gesang stehen Euski und Michele in einer Tradition, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht, bei italienischen Volksliedern beginnt, Abstecher in die Cabarets der 20er und die Music Hall der 60er macht, um irgendwann bei einem frühen Europop zu landen, den schon der Geist des Punk’n'Wave durchweht. Ihre Songs können nett und einschmeichelnd sein, und gefallen zum Teil auch Leuten, die 17 Hippies mögen. Doch viele ihrer Lieder haben auch eine derbe, dreckige, ungezähmte Seite, lassen Gestalten zu Wort kommen, wie man sie aus frühen Pasolini-Filmen kennt und versuchen erst gar nicht, diese in eine nette, gemütliche Szenerie zu überführen.

Befand sich die Musik der beiden von Beginn an im Fluss, dann stellt „On the Wire“ so etwas wie eine Stromschnelle dar, denn das Album – und Besitzer der Vorab-EP „17.3“ wissen das bereits – hat einige Neuerungen in petto. Euski lässt ihre bisherigen Lieblingssprachen Italienisch und Französisch ruhen und singt diesmal komplett in englischer Sprache, wobei es sich um ein Englisch mit einem derart charmanten Akzent handelt, dass es uns Deutschen die Schamesröte ins Gesicht treiben muss. Darüber hinaus wurde das Klangspektrum merklich erweitert und dank einer Reihe an Gastmusikern (u.a. Devis von Teatro Satanico) hört man neben dem folkigen Grundgerüst auch Gitarrensoli und allerhand Lärm.

Mit einigen Stücken betreten die beiden Neuland, und bei der schmissigen Goth Punk-Nummer „About Myself“ bekommt man den Eindruck, dass die beiden ihre Freude an Verkleidungen und Rollenspielen haben. Unterkühlte, bei genauerem Hinhören jedoch hochemotionale Wavesongs wie „Don’t you“ oder das nur minimal über Spoken Words hinausgehende Kim Wilde-Cover „Cambodia“ wirken hier schon weniger exotisch, auch wenn sie einen veritablen Gegenpart zu groovigen Jazzsongs bilden („The Difference“, „Love to say goodbye for“), oder zu einem Song wie dem gar nicht ängstlich klingenen „Scared“, einem Ohrwurm im Easytempo, der sich gut in einem alten, loungigen Jess Franco-Film gemacht hätte. So eingängig solche Nummern auch sind – in einem gestylten Wohnzimmer müssten sie zwangsläufig stören, denn ehe der nostalgische Schöngeist sich versieht, findet er sich in einer verstaubten Antiidylle vor, in der zahnlose, barfüßige Figuren auftreten („More (Stoned)“) und mit David Bowies Worten ihrer Derangiertheit Ausdruck verleihen – doch während das Idol im Lost Highway-Abspann gerade durch den Widerspruch des Songs zu seiner schönen Gestalt bezaubert, nimmt man den Titel hier beim Wort und macht aus „I’m Deranged“ einen kaputten Synthiesong.

Insgesamt dominieren aber die Momente, in denen das Schöne und das Dreckige direkt zu einer Einheit verschmilzt, wenn shoegaziges Rauschen und nervige Computersounds verhindern, dass aus „17.3“ einfach nur ein süßlicher Lovesong wird, oder wenn folkiges Akordeon und rumpelige Drums im Titelstück für ehrliche, erdige Emotion sorgen. Die ist es letztlich auch, die „On the Wire“ von so manch ordinärer Weltmusik abhebt. (U.S.)

Label: Klanggalerie