Unter den Newcomern des laufenden Jahrzehnts belegt die Britin Anna Calvi einen der renommiertesten Plätze, ihr Debüt bescherte ihr zahlreiche Fans und gute Kritiken. Dass alte Recken wie David Byrne und Nick Cave ihrem Zauber erlagen und entsprechend Starthilfe gaben, wurde fast immer als verdient erachtet, selten wurde über Beziehungen und Patronage geunkt. In der Tat sind ihre Songs, die meist auf gezupften E-Gitarren oder Harmonium basieren, auf eine nur schwer festzulegende Weise geheimnisvoll und zugleich enorm wuchtig. Und auch wenn man sie nicht als Callas an der Gitarre bezeichnen muss, ist die Frau mit der wandlungsfähigen Stimme doch mehr als eine etwas ungekünsteltere Alternative zu Lana del Rey, mit der sie den Hauch von David Lynch und das Flair amerikanischer Bonny und Clyde-Geschichten teilt.
In einem Interview betonte sie einmal ihre Liebe zum Flamenco. Musikalisch hört man das ihren Songs nicht an, aber die leidenschatliche Wucht vieler Stücke, die oft recht beschaulich beginnen und sich dann ganz plötzlich zu einer musikalischen Achterbahnfahrt emporschwingen, lässt auch dies widerhallen. Ihre Stimme, die sie erst spät als Medium für sich entdeckte, scheint wie gemacht für große Bühnen und wirkt doch, als sei sie einem düsteren Roadmovie entsprungen. Ganz überrascht ist man, wenn man sie einmal im gepflegten British English reden hört. Calvi betonte mehrfach, wie perfektionistisch sie sich jedem einzelnen Detail, jeder Note in einem Lied widmet, das nicht mehr das selbe wäre, würde sich auch nur ein einzelner Ton ändern. Dass sie unter der Vorausetzung bei Coversongs kein Interesse am bloßen Nachspielen hat, lässt sich ahnen, und so steht ihre neue EP „Strange Weather“, auf der sie fünf Lieblingsstücke covert, auch vollkommen im Zeichen der Neugestaltung.
„Papi Pacify“ war im Original von den mir bislang unbekannten FKA Twigs ein forscher R’n'B-Song, unter Calvis Bearbeitung wird daraus eine zerfledderte Jazzballade, die vordergründige Sexyness weicht einer schwül laszive Erotik, bei der die Grenze zwischen Lust und Wahn immer wieder zu verschwimmen scheint. In eine ähnliche Richtung, wenngleich rockiger, gehen die Interpretationen von Connan Mockasin- und Keren Ann-Stücken, die sie im Duett mit David Byrne singt. Bowies „Lady Grinning Soul“ wird mit Piano und viel Pathos interpretiert und klingt wie der emotionale Höhepunkt eines Musicals. Am meisten Spaß dagegen mach die trunken pochende Version von Suicides „Ghostrider“, das schon etliche Coverversionen über sich ergehen lassen musste und auch diese Entschleunigung verträgt.
Dass Anna Calvi einen breiten musikalischen Horizont besitzt, sollte nicht überraschen, und so ist „Strange Weather“ auch nicht in erster Linie ein Beweis für ihre vielfältigen Einflüsse, sondern primär ein Beleg für ihre eigene sichere Handschrift, mit der sie die unterschiedlichsten Dinge anverwandeln kann. Selbst bei den Stücken, die man im Original kennt, vergisst man dies bald und hat schnell das Gefühl, einfach nur Anna Calvi zu hören. (U.S.)
Label: Domino Records