Leo Maury und sein Projekt Niedowierzanie sind längst ein fester Bestandteil jener kleinen Nische, die sich irgendwann im neuen Jahrtausend aus dem experimentierfreudigeren Teil der Post Industrial-Szene herauskristallisiert hat, um die Fühler in alle musikalischen Himmelsrichtungen auszustrecken und dabei doch nie vollends in anderen – „psychedelischen“ – Genres aufzugehen. Die Rede ist von dem Musikkosmos, in dem auch Namen wie Novy Svet, O Paradis, Wermut oder Escama Serrada umherschwirren. Maurys Musik mag dem Wesen nach Ambient sein, doch pendelte sie stets an der Grenze zwischen einem verträumten europäischen Folksound und leicht rhythmischer Musik mit Reminiszenzen an die Tradition des Cold Wave.
Meiner persönlichen Meinung nach lag seine größere Stärke seit jeher mehr in den folkigen Aspekten. Das mag Geschmacksurteilen geschuldet sein, doch demonstrierte er dort auch immer die größere Variationsbreite. Niedowierzanie wurzelt musikalisch in keiner genau verortbaren Region und mag auf den ersten Eindruck an ein musikalisches Esperanto erinnern. Doch immer wieder blinken Zeichen bestimmter Kulturräume auf, fühlt man sich an Maurys Heimat im Süden Frankreichs oder an mediterrane Regionen erinnert. Mediterran geht es auch auf seinem dritten Longplayer „Felicita“ zu, der überraschenderweise auf einem Enfant Terrible-Sublabel erscheint. Sanfter maritimer Wellenkitsch, dessen Kolorit an einigen Stellen durch Akkordeonm, Handperkussion und akustisches Saitenspiel noch verstärkt wird, gibt so etwas wie einen szenischen Rahmen vor. Aufgrund der brüchigen Melodieansätze gerät das nie allzu betulich, und in gewissen Abständen wird die verträumte Siesta ohnehin von gut dosiertem Lärm zersetzt. Aus dem Vibrieren und Tremolieren trunkener Klänge tauchen hispanische Bläser auf, die auch in einem Jodorowski-Film ihren Platz gefunden hätten.
Doch „Felicita“, das Glück, ist keine durchweg regressive Angelegenheit, denn zwischen all dem sonoren Balsam ist Raum für verschiedene Formen von Markanz. Tragisch aufpeitschende Melodien und im Tempo anziehende Gitarrenpassagen könnte glatt einen schmissigen Folksong einleiten, zumal auch menschliche Stimmen zu hören sind. Die allerdings entpuppen sich schnell als verwehtes und bald versiegendes Grummeln. Seltsame Samplesounds – ein Kamm? Das Klappern einer Schlange? – treffen auf das verhaltene Echo der minimalen Elektronik, die das Debüt des Musikers noch stärker dominiert hatte. Bei all dem hat Maury ein Händchen dafür, eher rau bearbeitete Lofi-Bausteine in den Fluss des sauberen Klänge einzubauen, so dass sich Wohlklang und Kantiges die Waage halten.
Niedowierzanie ist mit „Felicita“ weitgehend dem Konzept von „Attendre“ treu geblieben, was bei der Vielgestaltigkeit des Klangbildes mehr als legitim ist. Wäre zu wünschen, dass der Labelwechsel seinen Teil zur größeren Bekanntheit des Projektes beitragen wird. (U.S.)
Label: Vrystaete/Enfant Terrible