Unter den Konzertveranstaltungen für Electronica der etwas raueren Art hat sich das Berliner Schlagstrom-Festival längst einen festen Platz erobert. Eines der Markenzeichen ist die Bandbreite der auftretenden Künstler, deren Musik primär einen elektronischen Schwerpunkt haben sollte und klanglich nicht allzu glatt und fragil getaltet sein darf. Wo sonst kann man schon Stephen Stapleton zusammen mit Breakcore, Ambient, EBM und Harsh Noise an einem Abend erleben? Erwartungsgemäß wird das von den einen begrüßt, von anderen als fehlende Stringenz moniert, doch die ausgewogene Mischung aus bekannten und obskuren Acts findet durch die Bank Zustimmung.
Auch dieses Jahr spiegelte sich die Bandbreite im Line-up und findet sich dann auch auf der dazu erschienenen Doppel-CD wieder. Den Schwerpunkt bilden Acts auf dem gar nicht so schmalen Grat zwischen Breakbeats und rhythmisch orientiertem Noise, wobei interessant zu beobachten ist, wie sehr Stilrichtungen aus ganz unterschiedlichen Nischen über die Jahre zusammengewachsen sind. Dies gibt es in derb (u.a. Xoks, Greyhound), in betont hektisch (Winterkälte, Atrox, Autor & Punisher etc.) und in einer subtilen und somit wenig berechenbaren Variante (Living Totem, Verstärker & A/Head sowie P.A.L. mit einem auf Filmsamples basierenden Livetrack).
Peripher dazu tauchen vereinzelt Vertreter des Post-Arafna-Sound (Tanz ohne Musik) und Elektro-Veteranen der alten Schule auf, die die späten 80er (Portion Control) oder die alten Minimal Synth-Tage (Absolute Body Control) channeln. Will man den Begriff Pop an einer gewissen Songorientiertheit messen, dann könnte man ihn diesen Acts noch am ehesten zugestehen, auf der anderen Seite ebenso den noch jungen Lolita Terrorist Sounds, die mit bewusst holprigen Takten und einer verqueren Melodie, deren Klang an ein Saloon-Piano erinnert, eines der eigenwilligsten Stücke abliefern.
Platz für weniger tanzbare Musik ist ebenso vorhanden, und so finden sich auch Beiträge zwischen Ambient und etwas diffizileren Soundscapes, von denen das Stück von Maria Jiku 888 mit seinem unheimlichen Flüstern und das verzerrte Giallo-Setpiece der Slow Loris Hervorhebung verdienen. Zuguterletzt fallen einige Stücke vollends aus dem Rahmen und verdienen die größte Beachtung: Sardh mit ihrem dumpf-verhallten Sounds und den etwas überbetonten Spoken Words, Mandelbrot mit ihrem kleinteiligen Soundstrudel, der auch ohne Rhythmen dynamisch wirkt, Eisentanz mit seiner ungewöhnlichen Holzerkussion und natürlich Carter Tutti Play Chris & Cosey mit ihrem rituellen Disco-Sound.
In der Aufzählung klingt das zwangsläufig ein bisschen nach „für jeden etwas“, aber mit einer gewissen Szenekenntnis stellt man schnell fest, dass die Kuratorin ein Händchen dafür hat, Plattheiten zu umgehen – so gibt es gerade im Elektro und Rhythm Noise eine Menge an allzu stoffeligem Gestampfe und zudem noch ganze Scharen an Kindergrufties. Dies zu vermeiden und stattdessen auch die experimentelle Seite nicht außer Acht zu lassen, verdient Lob und wird hoffentlich auch weiterhin Teil des Festivals sein.
Label: Sleepless