Wenn es ein besonderes Alleinstellungsmerkmal bei Pharmakon gibt, dann findet man es am ehesten in den manchmal regelrecht entmenschlichten Schreien, mit denen Margaret Chardiet eher Schmerz als Wut ausdrückt und ihren postindustriellen Lärm mit einem Element anreichert, das man eher von anderen Genres, Black Metal etwa und einige Spielarten des Crustcore, her kennt. Alle anderen Eigenschaften, die gerne hervorgehoben werden – ihr Fokus auf Pathologisches, ihre etwas zu clubtauglichen Beatansätze und die Tatsache, dass sie der klugen Prollfraktion zufolge primär ein neurotisches Mädchen ist – sind in entsprechenden Musiksparten viel verbreiteter und sollten eher im Kontext dessen gesehen werden.
Ihr gerade erschienener zweiter Longplayer ist nach Eigenangabe ganz der Hinfälligkeit des menschlichen Körpers gewidmet, der laut Thomas Bernhard zuverlässig die hehrsten Pläne durchkreuzt und Chardiet in Form einer OP und eines Klinikaufenthalts zwang, ihre Europatour abzusagen. Das Album, das stattdessen und im Schatten dessen entstand, beginnt mit erschöpftem Keuchen, das zwischendrin als Husten wiederkehrt, und erreicht seine stärksten Momente tatsächlich dann, wenn sie sich stimmlich verausgabt. „Intent or Instinct“ ist so ein erster achteinhalbminütiger Höhepunkt, dessen kreisende Noisesequenzen und rhythmisches Pulsieren von einem brachialen Geschrei übertönt wird, das mehr leidend als böse klingt und gelegentlich ins Jammern zu kippen droht. Bei „Autoimmune“ würde sich der monotone Beat ohne den dominanten Plärrgesang sicher irgendwann totlaufen.
Scheinen diese Stücke reine Körpersprache zu sein, so verschafft sich bei anderen auch die psychische Seite von Krankheit und Schmerz Ausdruck. In ihren Angaben zum Hintergrund des Albums erzählt sie von der schrittweisen Entfremdung von ihrem Körper, der sich im kranken Zustand mehr und mehr ihrer Kontrolle entzog und wie eine fremde Person agierte (wer Alfred Döblin kennt, fühlt sich vielleicht an „Die Tänzerin und der Leib“ erinnert, wo die Titelfigur die Kontrolle über ihre Glieder verliert und jedes Körperteil als je eigene widerspenstige Wesen wahrnimmt, von denen sie nur noch der Tod scheiden konnte).
„Body Betrays Itself“ heißt das schwerfälligste und schleppendste Stück des Albums und verweist vom Titel her auf den Körper als etwas der „eigentlichen Person“ äußerliches, ähnlich der als faszinierend wahrgenommenen organischen Strukturen auf einem Röntgenbild, die in den Lyrics zur Sprache kommen. In diesem Stück erkennt man auch zum ersten Mal ihre Stimme als weiblich. Das ist ansonsten nur noch im Titelsong der Fall, wo sich der zunächst noch ordinäre Sprechgesang aber mit der Zeit in nur noch wahnsinniges Lallen und Lachen verwandelt, um gegen Ende in einen hektischen Chor aus verrückten Stimmen (im Kopf?) zu münden. Das hat schon eine gewisse Intensität – ob sie damit jedoch die im Schnitt eher abgehärtete Swans-Gemeinde auf der bald beginnenden gemeinsamen Tour in den Wahnsinn zu treiben vermag, ist eher fraglich.
„Bestial Burden“, das übrigens in Zusammenarbeit mit Sean Rogan von Cult of Youth entstanden ist, ist ein gutes Album weitgehend ohne Längen, dass man nicht einmal extra anpreisen müsste, da Pharmakon von einem Label mit guten szeneübergreifenden Kontakten verlegt wird und somit längst ein Selbstläufer in Sachen Publicity ist. Wäre schön, wenn die Popularität den Spot auch auf einige andere Noiserinnen lenken würde, aber erfahrungsgemäß bleibt so etwas leider aus. (U.S.)
Label: Sacred Bones