FORRESTA DI FERRO: Bury Me Standing

Mit „Seppelliscimi in Piedi“, dem ausklingenden zweiten Titelsong ihres bisher einzigen Albums, ist Forresta di Ferro ein seltsames Meisterstück gelungen – vordergründig ein simpler Italofolksong mit Akkordeon und zirkushaftem Walzertakt wirkt das Stück durch seine effektunterlegte Vokalspur, die wie aus einem Telefonhörer herüberweht, ins nahezu Unwirkliche, Gespenstische entrückt. Mit seinem kämpferischen Text und der repetitiven Struktur suggerierte das Lied für mich stets die Vorstellung einer ausladenden Kamerafahrt durch ein Ruinenfeld irgendwo im Italien zum Ende des zweiten Weltkrieges. Wie eine Platte mit Sprung, die noch Stunden nach der Zerstörung auf einem unversehrt gebliebenen Grammophon rotiert, evoziert der Song eine zweifelhafte, aber auch mitreißende Leidenschaft, die nicht untergehen kann und will, auch wenn ihre Zeit längst abgelaufen ist.

Forresta di Ferro ist quasi das zweite Projekt von Marco Deplano, der mit Wertham dystopischen Powernoise spielt. Mit Forresta di Ferro wandte er sich um die Jahrtausendwende einem organischeren, traditionelleren und irgendwie auch freundlicheren Sound zu, wenngleich die musikalischen Resultate keineswegs optimistisch klingen. Schon der Bandname – einerseits auf die Edda, andererseits auf eine Industrieruine in Deplanos norditalienischer Heimatstadt Como referierend – lässt da keine Zweifel aufkommen. Ein Markenzeichen in der bis dato etwas abgebrochen wirkenden Bandgeschichte ist neben dem Kollaborationscharakter (John Murphy und Richad Levy waren mit an Bord) die musikalische Unverortbarkeit, die nur bei Klischeedenkern den Verlegenheitsbegriff Neofolk aufkommen lässt, während die Songs unentschieden zwischen folkigen, postpunkigen, noisigen und auf der Doppel-7” mit Novy Svet auch jazzigen Anleihen oszillieren, was Deplano und seine Combo anscheinend auch nie kitten wollten.

Inhaltlich befasst sich „Bury me standing“ mit den vielfältigen idelogischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderst, mit Obsession und Fanatismus politischer wie konfessioneller Art, und zeigt das ganze als vor allem tragisches Geschehen. Die Weltkriege, Jugoslawien, der Nahe Osten, rechte, linke, neokonservative und religiös motivierte Phänomene, ihr Idealismus, ihr Terror und ihr Scheitern – all das mag auf den ersten Blick etwas dick aufgetragen wirken, doch Deplano und seine Kollegen umgehen gekonnt so manchen Fallstrick: Kein Zeigefinger erhebt sich in dem Panorama, das den liner notes nach als Filmmusik „für ein imaginäres Dokudrama über Glaube, Unglück und Fanatismus“ gedacht war, keine Parteinahme für oder gegen ideologische Sackgassen wird auf dem Serviertablett gereicht, vielmehr hält die Umsetzung in den episodisch angelegten Stücken eine Balance zwischen Empathie und Bloßstellung und will eher thematisieren und anregen statt zu erklären und zu belehren.

Referenzen wie Evola, Jünger, Kustorica, Mishima, von Trier (von denen einige im Post-Industrial freilich längst zur zernudelten Standardfolklore mutiert sind) bilden einen allenfalls vagen Hintergrund. Eine solche Balance zeichnet auch die Musik aus, bei der chansonartige Folksongs auf beklemmende Soundscapes und heroische Hymnen an der Grenze zur Tollwut aufeinander treffen, auch die Kontrastierung von sakralen oder opernhaften Samples mit Kriegslärm und markanter Perkussion hält ihr fragiles Gleichgewicht. Ob einem Levys songorientiertere Beiträge, die einen Hauch von Fin de Siecle-Stimmung einbringen, nicht etwas zu weit entfernt vom Rest erscheinen, bleibt ähnlich wie seine jungenhafte Stimme dem Geschmack des Hörers überlassen.

Ein besonderer Fokus liegt auf der kodexgeleiteten Haltung von Männerbünden, Phänomenen, denen immer etwas Faszinierendes und zugleich auch rührend Lächerliches anhaftet, die Tatenokai (dt. “Schildgesellschaft”) Mishimas während des symbolischen Umsturzversuchs 1970, der in “Harmony Of Pen And Sword” ein düsteres Mahnmal gesetzt wird, ist eines der bekanntesten Beispiele. In der Hinsicht durchzieht die Themenwahl auch eine gewisse Ahistorizität. Der Bruch nach dem Ende der Ostblocks, den kulturalistische Geister wie Huntington oder sein an integraler Tradition geschultes russisches Pendant als Übergang vom Zeitalter der Ideologien zum Revival der Kulturen deuteten, spielt hier keine nennenswerte Rolle, und mit Phänomenen wie dem indischen Kriegeradel der Kshatriya-”Kaste” und den Kreuzrittern als “Militia Christi” kommt auch Vormodernes zur Sprache. Die Brücke zum Rest sowie ihre Gemeinsamkeit untereinander ist zunächst nur dem Leser einschlägiger traditionaler Literatur bekannt, was das Ain Soph-Cover mit Bassgrummeln, Drummrolls und Brüllstimme allerdings nicht davon abhält, das zweite Highlight des Albums zu sein.

Gut zehn Jahre nach der Ertveröffenlichung erschien das Album dieser Tage neu auf dreihundert schwarzen Scheiben. (U.S.)

Label: Trips + Träume