Es sind schon viele Alben aus Trauer entstanden, und viele handeln von der Trauer um eine geliebte Person. Alben, die das Trauern als solches zum Thema haben, sind seltener. Das könnte damit zu tun haben, dass die Frage nach den Mechanismen des Trauerns sehr theoretisch anmutet, aber sie ist auch komplizierter als man vielleicht denkt, denn eine Trauer, die sich weder in die Verdrängung noch in Selbstmitleid flüchtet, erfordert Leidensfähigkeit und ist keineswegs eine passive Angelegenheit.
Für den Belgier Pepijn Caudron ist das Thema auch keine theoretische Sache, denn der Grund für seine Beschäftigung mit dem Wesen der Trauer ist ein sehr persönlicher und rührt aus dem Verlust einiger ihm nahestehender Personen. Irgendwo stieß der Musiker auf die psychologische Beobachtung, dass Trauer häufig in mehreren, sich teilweise widersprechenden Phasen bewältigt wird. Zunächst schreckt der Trauernde davor zurück, den Verlust und den damit verbundenen Schmerz anzuerkennen und klammert sich mit unterschwelliger Verzweiflung an die Zeit vor dem Verlust. Da eine solche Verleugnung nur auf Zeit funktioniert, stellt sich bald so etwas wie Wut ein, Wut auf den Verlust als solchen, vielleicht auch auf die betrauerte Person, aber auch auf sich selbst und die eigene Unfähigkeit zu verleugnen und zu verdrängen. Mit der Phase des inneren Abwägens setzt der erste Schritt in Richtung Akzeptanz ein, dem allerdings meist eine Phase der Depression vorausgeht: Erst wenn diese durchlebt ist, kann der Trauernde den Schicksalsschlag akzeptieren.
Caudron erkannte in dieser Beschreibung so viel von seinen eigenen Erfahrungen wieder, dass er den Drang verspürte, seinen eigenen Weg durch die Trauer in einem Album durchzuarbeiten. „The Summoner“, das auf diesen Erfahrungen und Überlegungen beruht und doch noch einen Schritt weitergeht, stellt in der Diskografie des Musikers schon deshalb eine besondere Wegmarke dar, weil hier erstmals mit Studiomusikern statt ausschließlich mit Samples gearbeitet wird.
Die minutenlange Stille, mit der „Denial“ beginnt, könnte glatt für all das stehen, das der Trauernde, beide Hände auf die Ohren gedrückt, nicht wahrhaben will. Doch es ist eine trügerische Stille, in der sich klammheimlich eine unerbittliche Realität zusammenbraut, die durch ihr schwelend kreisendes Dröhnen, durch seltsame Stimmen und entferntes Gerumpel so bedrohlich wie ein düsteres Wahngebilde anmutet. Caudrons Erfahrung bei der Arbeit fürs Theater kommt ihm schon hier zugute, denn die leicht überhörbaren Details schwirren derart gekonnt im Raum herum, dass man auch als Hörer dieser Wirklichkeit kaum entweichen kann. Die darauf folgende „dialektische“ Folge von wenig Licht und viel Schatten weiß ebenfalls davon zu kosten – das trockenere, direktere „Anger“ mit seinen lauten und eruptiven Streicherkaskaden, das mit viel orchestralem Geklapper vor sich hinsuchende „Bargaining“, das weitaus eindeutiger dahingleitende „Depression“ und zuletzt die genügsame Ruhe des schlichten Pianos in „Acceptance“.
Mit „The Summoning“ geht Caudron über das Theoriekonzeot hinaus und markiert den Punkt, an dem der schwärzeste in den lichtesten Abschnitt übergeht. Wie um zu zeigen, dass an der Stelle etwas neues geboren wird, scheint er hier noch einmal das ganze Album zu bündeln und über sich selbst hinauszuführen, und es ist nicht unpassend, dass er dies nicht im Alleingang vollzieht, sondern seine Landsleute von Amenra mitmischen lässt. Das schleppende Schlagwerk, die kraftvollen, kernigen Gitarrenwände und das heißere Gröhlen der bekannten Doommetaller, die im Normalfall als niederdrückend empfunden werden, wirken hier fast so erhebend wie eine Levitation.
Label: Miasma