NICK GREY AND THE RANDOM ORCHESTRA: Breaker of Ships

Nick Grey hatte Mitte des letzten Jahrzehnts eine ganze Reihe an Platten herausgebracht, teilweise solo, teilweise bereits mit seinem Random Orchestra, teilweise aber auch in Zusammenarbeit mit wieder anderen Kollegen und stets bei undergroundigen Labels mit Sinn für verträumten, krautig angehauchten Folk. Nach einer mehrjährigen Pause, die relativ abrupt einsetzte, hat die Musikwelt den nun in Berlin lebenden Musiker seit etwa einem Jahr zurück, und es macht den Eindruck, als würde er mit diesem Neustart ganz neue Horizonte erkunden und dabei auch seinen Bekanntheitsradius merklich erweitern.

Auf „You’re mine again“ erforschte er im letzten Jahr die absurden Kollateralfolgen der Liebe und ähnlich gelagerter Gefühlszustände und verpasste dem Motivkomplex mittels sperriger Songwritermusik einen Kommentar, der sich bewusst weigerte, sich für eine bösartige, resignierte oder vergnügte Haltung zu entscheiden. Unter Greys Feder wären Fräulein Else und der junge Werther zu Thomas Bernhard-Figuren mutiert und hätten sich – paradoxerweise, möchte man sagen – gerade deshalb nicht einmal umbringen müssen.

Auf dem Nachfolger „Breaker of Ships“, das (laut unserem Interview) dem großen Verderber menschlichen Strebens gewidmet ist, bleibt er dieser Linie im Grunde treu, auch hier ist Pop nicht nur Pop, denn die niemals kompakten Songs sind immer auch „ein bisschen experimentell“, und dass jedes Stück beim Griff in die popkulturelle Zitatenkiste in eine andere Richtung geht, ist ebenfalls vom Vorgänger her bekannt. Es gäbe schon aufgrund dieser Heterogenität kaum einen Grund, sich unbedingt weiterentwickeln zu müssen, aber Grey und sein Orchester machen es dennoch, indem sie einfach noch ein bisschen an Markanz zulegen. Zudem ist „Breaker of Ships“ inhaltlich weniger konzeptuell angelegt.

Schon in den ersten Stücken zeigt Grey, dass er mit Vorliebe Illusionen erzeugt, um sie – nicht selten zugunsten weiterer Illusionen – zu brechen. „Of Ghosts and Women“ und „Vanisher“ könnten als (immer noch allein schon textlich doppelbödige) Radioschnulzen funktionieren, wären die Rhythmen nicht so unpassend in den Vorgergrund gemischt, im Titelstück ist der durch immer verfremdetere Klänge dominierte zweite Teil der große Gemütlichkeitsverderber, bis er sich endlich bequemt, den Song ausklingen zu lassen.

Neben dem genannten „Vanisher“ ruft v.a. „The Archivist“ – beides kleine Psychogramme skurriler Einzelgänger -  den folklastigen Songtyp in Erinnerung, mit dem man Grey früher in Verbindung brachte, denn an der Stelle können die schweren Riffs und bluesigen backing vocals nicht darüber hinweg täuschen, dass diese Songs ganz im Zeichen des Stimmungsvollen stehen, und dass sie unter ihrer rauen Oberfläche fast lieblich melancholische Kammermusik sind. Eigenwillige allerdings, und wer bei der mystischen Talfahrt – „waiting for the end/down in my bunker“ – den Spaß am gewollte Klischee nicht bemerkt, wird dem Album wohl generell verständnislos gegenüberstehen.

Vielleicht sind die allgegenwärtigen Doppelbödigkeiten auch der wichtigste Garant dafür, dass Greys kontinuierliche Fortentwickung vom Akustiksong so gar nicht banal und bemüht wirkt, ganz im Gegensatz zu den vielen (meist weiblichen) Folkacts der Nullerjahre, die alle wie auf Knopfdruck plötzlich Electronica, Rock oder Shoegaze anstimmten, nachdem die Spexes und Mojos dieser Welt das postmoderne Folkrevival für beendet erklärten.

Dank des Detailreichtums gäbe es zu jedem Stück (inklusive des abschließenden Remixes aus dem Hause Scanner) eine Menge zu sagen, aber da es deshalb auch eine Menge zu entdecken gibt, möchte ich an der Stelle nur noch „Ghost Rain“ hervorheben, das auf einer dramatisch in Szene gesetzten Aufnahme eines Philip Wollen-Vortrages zur Fleischindustrie („If slaughterhouses had glass walls, everyone would be vegetarian“) basiert. Auch wenn ich persönlich vermute, dass die meisten Konsumenten eher Umwege in Kauf nehmen würden, ist die Umsetzung bewegend und zeigt, dass man den Satz weniger als Feststellung betrachten sollte, sondern als wachrüttelnde Provokation.

Grey selbst sieht darin einen Hoffnungsschimmer, der ganz nebenbei auch dieses düstere Album ausklingen lässt – eine Formulierung, bei der ich allerdings vorsichtig wäre, denn sie sagt wenig über die Weite und den Facettenreichtum dieser im besten Sinne merkwürdigen Platte. (U.S.)

Label: Milk & Moon Recordings