Etwas Monumentales haftet dem Werk Thighpaulsandras an, und das in Zusammenhängen, die gleich die wichtigsten Säulen seines Werks als Musiker, Sänger und Performer umfassen: Die epische Struktur seiner oft ausladenden Kompositionen, ferner die dem Eindruck nach allesumspannende Weite seiner thematischen und atmosphärischen Konzepte, für die Genrebegriffe wie Soundart, Rock, Jazz, Psychedelia oder Ambient kaum eine Rolle spielen. Dann nicht zu vergessen seine raumfüllende Stimme und die großen theatralischen Gesten, die niemals aufgesetzt wirken. Man würde sich auch nicht trauen, ihm den immer etwas beliebigen Queer-Stempel aufzudrücken, denn seine provokanten „Double Vulgar“-Alben waren weit mehr als nur Stoff für eine Mode-Schublade.
Tim Lewis alias Thighpaulsandra ist kein Unbekannter, doch so rar, wie er ich seit seiner vor acht Jahren erschienenen EP „The Clisto“ gemacht hat, sollten man Neueinsteigern die wichtigsten Stationen im Werdegang des Walisers nennen: Seine sechs in den Nullerjahren erschienenen Soloalben, sein Renommee als Studiotechniker und sein Mitwirken bei Julian Cope, bei Spiritualized und natürlich bei Coil, in deren Spätphase er musikalisch und als motivierender Geist eine maßgebliche Rolle innhatte. Deren Echo hallt auf ganz vielfältige Weise im neuen Album „The Golden Communion“ nach.
Über zehn Jahre lang soll Lewis mit Siôn Orgon und dem restlichen Ensemble (hier die Credits) an dem Werk gearbeiten haben, und man kann allenfalls ahnen, wie sehr diese Jahre von kreativen Eruptionen, aber auch von emotionalen Kraftakten geprägt waren. Unter anderem war es auch die Zeit, in der Coil aufgehört hatten zu existieren und mit John Balance und Peter Christopherson zwei Freunde Thighpaulsandras starben. In den darauf folgenden Jahren kümmerte er sich zusammen mit Freunden um die Herausgabe des visuellen Nachlasses der beiden. Dennoch kann man schon beim ersten Hören der zwei CDs (respektive drei LPs) sagen, dass das rund zweistündige Werk kein schwieriges, sondern ein in all seiner Fülle ergreifend schönes Hörerlebnis bietet.
Schon das eröffnende „Salut“, eine Begrüßung im filmscoreartigen Ambientsound, entfaltet im Laufe der Zeit eine solche Enzyklopädie an Details, dass man wieder kaum um ein Wort wie „episch“ herumkommt. Leichtes Pulsieren begleitet seinen eindringlichen Gesang in ein Terrain, in dem Pop-Appeal und der Flair eines klassischen Melodrama die Stimmung beherrschen und zugleich in ihrer Ernsthaftigkeit über sich hinauswachsen. Der beinahe abrupte Gitarreneinsatz, der Krautiges und gleichsam Metal und Crossover channelt, erhellt den Raum in Windeseile.
Meines Erachtens enthält die erste CD die eindringlicheren Songs, aber vielleicht bin ich auch nur vom Kontrastprogramm überwältigt, das z.B. „Did He Fall?“ und „The Foot Garden“ entfalten. „Did he fall or was he pushed?“ lautet die zentrale, zu allerhand Interpretationen verführende Frage im erstgenannten Song, der John Balance nicht nur quasi gewidmet ist, sondern auch Stimmzitate von ihm und Percussion von Sleazy enthält. Mit den Electrobeats und aggressiven Shouts, die an ganz frühe Coil erinnern und im Black nicht zu Unrecht mit NIN vergleichen wurden, entstand ein echtes Kraftlied. Geradezu paradiesisch dagegen „The Foot Garden“ mit seinen orientalischen Duduk-Flöten und dem melancholischen Gesang, dessen Wärme durch die eingebauten Störgeräusche noch untermauert wird. Alles Leid eines Lebens hat Sinn, wenn es sich in zehn solch ausnehmende Minuten packen und darin veredeln lässt.
An diese Stimmung knüpft auch „A Devil in Every Hedgerow“ an, in dem sich ebenfalls eine Fülle an schrägem Material entfaltet, ganz heimlich fast, während Gastsänger George McCarthy zu Renaissance-Klängen sein Falsett anstimmt. Freilich gibt es auf „The Golden Communion“ auch Stücke, bei denen das Kakophonische überwiegt und wie beim Titelstück etwas geradezu surreal-zirkushaftes bekommt, auf der zweiten CD bilden an Spiritualized erinnernde Grooves, improvisierte Klarinettenparts und mal tanzbare, mal eher waghalsige Takte ein Geflecht, dessen Zusammenhänge man wunderbarerweise nicht erst aus der Totalen begreift. Immer wieder blitzen Momente der besseren Popgeschichte auf, in einem der zahlreichen Abschnitte von „Misery“ fühlt man sich abrupt in einen 80s-Song versetzt, während das folgende „Valerie“ klingt, als wäre man versehentlich in ein vergessenes Szenario der 60er geraten.
Dass das Album bei all dem nicht erratisch ausgefallen ist, ist nur eine seiner Stärken, für die sich ein Fazit fast schon verbietet, es sei denn man begnügt sich mit der Feststellung, dass „The Golden Communion“ manchen Strudel aus verstörend Schönem birgt (U.S.)
Label: Editions Mego