Viele der Kompositionen Julia Kents sind so dezent gestaltet, dass beim beiläufigen Hören der Eindruck entstehen könnte, ihre Cellostücke seien alle nach einem ähnlichen Muster gestrickt und zwischen den einzelnen Alben bestünden keine großen Unterschiede. Bei genauerem Hinhören fällt auf, dass ihre mit dezenter Elektronik und Feldaufnahmen angereicherten Cello-Loops durchaus eine nachvollziehbare Wandlung erfahren haben. Ohne den repetitiven Minimalismus eines frühen Albums wie „Delay“ zu suspendieren, steht bei neueren Aufnahmen eine fließendere Dynamik im Vordergrund, und immer mehr bilden die Alben ein Gesamtnarrativ, bei dem die einzelnen Stücke mehr Kapitel als in sich abgeschlossene Teile mit freier Anordnung bilden.
In diesem Sinne ist „Asperities“ auch eher so etwas wie ein Konzeptwerk als z.B. das genannte „Delay“, auch wenn dessen Thematik – die Erfahrung des Wartens im Transitraum internationaler Flughäfen – greifbarer erschien als die vage Andeutung von Spannung und Konflikten, die Julia in den liner notes vornimmt. Auch der Titel, der im deutschen so etwas wie „ungünstige Voraussitzungen“ bedeutet, unterstreicht dies, ohne es merklich zu konkretisieren. Der starke Zusammenhang wurzelt in anderen Komponenten: Da wäre einmal die dunkle, abgeklärte Stimmung, die sich durch alle Stücke zieht und ihnen doch die Aura einer besinnlichen Genügsamkeit verleiht. Ebenfalls wäre da die beinahe dramatische Organisation des stets veränderlichen Tempos, das zusammen mit den Titeln, die sich auffallend oft auf Räumliches und auf Bewegung beziehen, die Vorstellung einer Handlung in einem Schauplatz evoziert, mag beides auch vage und abstrakt bleiben.
Dass das Album ganz leise beginnt und der erste Song sich fast schleichend auf den Hörer zubewegt, trägt irgendwie schon seinem Titel Rechnung, der auf eine schöne Pflanze mit einem schleichend wirkenden Gift deutet. Ist der Song erst einmal auf seinem Plateau angekommen, bringt Julia mit ein paar langen und tiefen Strichen die ganze Erhabenheit der Musik mit einem mal auf die Bühne: die ungekünstelte Einfachheit der Tonfolgen, die nichts vermissen lassen, der ernste Fatalismus, der dieses Album so deutlich von seinen Vorgängern unterschiedet und nicht besser in den trüben Spätherbst passen könnte. Ganz langsam zieht die Musik an, und wenn das folgende „Lac des Arcs“ das Konzept wieder anders zusammensetzt und mit einer monotonen Dröhnung unterfüttert, ist vielleicht der eine oder andere Groschen mehr für die besondere Stimmung des Albums gefallen.
In den folgenden Stücken wird immer deutlicher, dass es in „Asperities“ um einen Aufbruch geht, mag sein Beginn auch von Gift durchdrungen sein, mag der Weg sich noch so sehr durch unwegsames und gefahrvolles „Terrain“ (wie eines der Stücke heißt) schlängeln und keineswegs linear verlaufen. In der Mitte des Albums stehen Rhythmen als Bewegungsmotoren im Zentrum, in „The Leopard“ und (das mich leicht an Sieben erinnernde) „Flag for No Country“ noch in Form dezenter Pizzicati, die zuerst von wehmütigen Strichen, später von allerhand gesampleten und perkussiven Spannungsmachern begleitet werden, im energiegeladenen „Terrain“ dann durch hypnotische Bässe und an Metallfedern erinnernde elektronische Rhythmen.
Während das schicksalsschwere „Empty States“ durch sein kraftvolles Downtempo dem retardierenden Moment trotzt, gibt sich ihm „Heavy Eyes“, das auch im Titel das Räumliche loslässt, vollends hin und offenbart sich als berührende Ode an einen erlösenden Schlaf. Nach diesem kurzen Idyll jedoch geht die Fahrt weiter, stets im Halbdunkel, und „Invitation to the Voyage“ leitet über in das Finale „Tramontana“, das mit seinen Loops, die wie der Beginn von etwas Endlosem klingen, aber so gar nicht final anmuten. Tramontana heißt auf Italienisch auch ganz passend „Über die Berge“.
Auch nach mehrmaligem Hören erscheint „Asperities“ als ein äußerst ambiges Werk, doch darin liegt auch seine Stärke. Es inszeniert eine Reise in eine Art Herz der Finsternis, in dem an alle Wände Julia Kents alter Slogen „It’s not ideal…“ gepinselt ist. Doch der Trip streift Orte von ungewöhnlicher, melancholischer Schönheit, hält Momente von beeindruckender Energie bereit und kommt v.a. nicht zum Stillstand. (A. Kaudaht)
Label: The Leaf