Seit seinen Anfängen in den Musikszenen der New Yorker Downtown hat John Zorn eine weite Strecke hinter sich gelegt und derart unterschiedliche Alben als Musiker, Komponist und Produzent hervorgebracht, dass es im Grunde mühsam ist, ein bestimmtest Werk von ihm als repräsentativ herauszuheben. In einem Interview betonte er einmal seinen „additiv“ ausgerichteten Zugang zu diversen Musikarten und sein Faible für das Abklopfen der unterschiedlichsten Genres auf versteckte Verbindungen. Und so ist es wenig von Belang, ob er beispielseise im Jazz, im Rock, im Klezmer oder in weiteren traditionellen Musikarten unterwegs ist. Trotzdem ist die Überblendung klassischer und traditionell jüdischer Musik mit Strukturen des Jazz seit den 90ern ein zentrales Feld in Zorns Schaffen geworden, und auch das vor einigen Monaten erschienene „Testament of Salomon“ fällt in diesen Bereich.
Das Album entstand in Zusammenarbeit mit Zorns mittlerweile gut eingespieltem Gnostic Trio, bestehend aus Bill Frisell (Gitarre), Carol Emanuel (Harfe) und Kenny Wollesen (Vibraphon), und ist ganz Zorns Interpretation des Biblischen Hohelieds gewidmet. Bereits in den als Poetry Performance-Stück konzipierten „Shir Hashirim“-Auftritten widmete sich Zorn diesem Text, und „The Testament of Salomon“ kann wie ein nachträglicher Soundtrack dazu verstanden werden. In seiner Stilausrichtung zwischen traditionellen, jazzigen und klassischen Einflüssen ist es musikalisch auch so etwas wie eine reduzierte Version der bekannten „Masada“-Werke, an die selbst einige der Songtitel anknüpfen.
Wenn es etwas gibt, dass Zorns Trio durch die Alben der letzten Jahre hindurch verfeinert hat, dann die Kunst, komplexe Muster in einen simplen Rahmen zu packen, bei denen starke Soli auf Harfe oder Gitarre die Führung übernehmen und die vielen Veränderungen, die sich dahinter abspielen, nur noch subkutan wirken lassen. Die Geborgenheit suggerierenden Ornamente auf Emanuels Harfe in „Alamot“, das wehmütige mittelalterlich anmutende Saitenspiel Frisells in „Kotlenu“ – sie lassen erst mit der Zeit erkennen, welch vielgestaltige Dissonanzen, welche wiederstreitenden Strukturen dadurch fast perfekt absorbiert worden sind.
Weit offenkuniger wirken diese Muster natürlich in Stücken, die deutlicher mit einer Reihe an filmreifen Spannungsmachern arbeiten, die immer wieder Zorns Liebe zu Morricone in Erinnerung rufen – bespielsweise in „Holot Ahavah“, bei dem sich der Fluß der kaum deplaziert wirkenden Surf- und Doom-Klänge immer wieder staut und mit ungeahnten Wendungen jeden Automatismus des Hörens unterminiert, oder in anderen Stücken, in denen Flammenco-Gitarren immer wieder den schöngeistigen Orientalismus durchpeitschen und eine ungreifbare Stimmung hinterlassen, traumhaft und aufwühlend zugleich.
Es ist interessant, diesen mal nur latenten, mal offen manifesten inneren Bürgerkrieg vor dem Hintergrund der biblischen Referenzen zu beobachten, gehört das Hohelied der Liebe doch zu den schönsten und anrührendsten Texten des Alten Testaments, das über viele Epochen hinweg gläubige und zweifelnde Geister beflügelt und die unterschiedlichsten Interpretationen hervorgebracht hat. Doch jeder, der diese Huldigung einer körperlichen Liebe, die oft als Allegorie auf die Gottesliebe gedeutet wurde, etwas empathischer gelesen hat, wird zweifellos einräumen, das das Lied Salomos schon auf atmosphärischer Ebene weit mehr ist als ein betuliches Liebes- und Naturidyll, sondern andächtige und aufwühlende Stimmungswellen gegeneinander prallen lässt.
Das Album ist auf CD in detailverliebter Gestaltung durch Zorns Hausdesigner Heung Heung Chin erschienen und ein reichhaltiges Werk, das viele Hördurchgänge rechtfertigt, da man auch nach längerer Zeit immer wieder neues zu entdecken vermag. (U.S.)
Label: Tzadik