Jo Quail hat wie viele Musiker, die mit traditionellen Instrumenten etwas mehr oder weniger Experimentelles machen, eine klassische Musikausbildung genossen und ist dann später – durch die Begegnung mit etwas schägeren Subkulturen – “auf Abwege” gekommen. Auf diesen Abwegen hinterlässt sie nun seit einigen Jahren interessante Spuren, ihre Signatur dabei ist ein erdiger, bisweilen bodenständiger und doch immer auch eine gewisse Weite implizierender Sound auf dem E-Cello.
Auf ihrer letzten Tour duch Australien hat die Musikerin ihr aktuelles Album Five Incantations als ein zusammenhängendes Stück aufgeführt, und in der Tat wirken die fünf Tracks wie Teile eines größeren Ganzen. Zugleich aber hat man das Gefühl, dass man es mit Ausschnitten eines größeren Narrativs zu tun hat, das geheimnisvoll bleibt und im Idealfall im Kopf des Hörers zur Vollendung gelangt. Dies ist nur eine der Doppelbödigkeiten des Werks, denn auch der abstrakte Eindruck täuscht, entfalten die Stücke nach mehrmaligem Hören durchaus subtile Songqualitäten. Mit den fünf Ausschnitten aus einem beim genauerem Hinsehen nur scheinbar abstrakten Gemälde spiegelt sich all dies schon auf dem Cover des Albums.
Mit seiner monumental anmutenden und zugleich wehmütigen Melodie, die gut in einen von vielen kleinen Spannungsmachern durchzogenen Filmscore passen würde, verkörpert der Opener “White Salt Stag” schon diesen Ort zwischen allen Stühlen, denn trotz aller Hintergründigkeit entsteht immer wieder der Eindruck, dem Auftakt eines Rocksongs zu lauschen, und stets überrascht die Tatsache, dass die ganze dramatische Wucht lediglich auf einem Instrument beruht – es ist eine von vielen Stellen in Quails Werk, bei dem eine größere Nähe zu ihrem RASP-Kollegen Matt Howden in den Sinn kommt als zu anderen Cellistinnen wie Julia Kent oder Hildur Gudnadottir.
Nicht alle der fünf “Incantations” geben sich derart straight, “The Breathing Hand”, das den Cello streckenweise kaum mehr erkennen lässt, führt lediglich die melancholische Seite des Openers fort und lässt sie in dronig-flächiger Gestalt manifest werden. Einige unsichere Momente gegen Ende des Stücks ändern nichts daran, dass in seiner tastenden Langsamkeit eine starke meditative Ruhe liegt.
Die vorsichtig herantastenden Bewegungen leiten über in das aufgewecktere “Salamander”, das fast heiter und verspielt anmutet. Irgendwann kommt wie selbstverständlich Aufgewühltheit in die rhytmische Bewegung, die sich zu Wellen aus Bombast steigert und am dramatischen Ende in luftigen Höhen kulminiert. Die heruntergrbrochene Langsamkeit von “Between two Waves” könnte damit nicht stärker (und passender) kontrastieren. Das sanfte Abklingen jedoch ist nur die Ruhe vor dem Sturm, denn in allen Ritzen des Stücks braut sich etwas zusammen, es rumort unterschwellig bis sich plötzlich die schönste Schwermut Bahn bricht – an keiner Stelle klingt das Cello mehr nach sich selbst. Im ambienten “Gold” schließt sich der Kreis, denn die hypnostischen Striche wirken wie ein Zoom und kulminieren in einem furiosen Rocksolo. (J.G.)