Traditionell ist der Narr eine Figur, die ungestraft unangenehme Wahrheiten aussprechen darf. Der Deal ist, dass er als mehrdeutige Figur auftritt, deren Aussagen ebenso sehr als dumm, deren Haltung jederzeit auch als ironisch und scherzhaft aufgefasst werden kann. Wer sich nicht auf die Füße treten lassen will, der muss ihn nicht ernst nehmen. Geht es darum, unorthodoxe religiöse Wahrheiten zu verkünden, bedarf es mitunter Figuren, die sich im Grenzbereich von Prophetie und Narrentum aufhalten.
Etwas derartiges hatte vielleicht auch Daniel Higgs – ehemals Sänger der amerikanischen Hardcore-Formation Lungfish und seit Jahren solo mit Banjo, Stimme und Harmonium für eigenwillige Textrezitationen mit spirituellen und philosophischen Inhalten bekannt – im Sinn, als er seine jüngste Arbeit „The Fools Sermon“ nannte. Deren erster Teil erschien vor Kurzem auf Stephen O’Malleys Ideologic Organ-Label.
Das Album enthält zwei episodisch aufgebaute und von einer hörspielartigen Dramaturgie geprägte Kompositionen von jeweils knapp zwanzig Minuten Länge, der musikalische Grundtenor, der Songansätze kurz andeutet, aber letztlich verneint, hat seinen Schwerpunkt in folkigen Klängen primär ost- und verderasiatischer Prägung: weltenthobene Melodien aus hölzernen Blasinstrumenten, stimmungsvolles Saitengeschrammel auf Gitarre und Banjo, perkussives Rasseln und vieles mehr, ab und an einen lauten Tusch wie von einer Bigband. Stets wandeln sich Tempo und Stimmung, oft mit textlichen Brüchen korrespondierend, doch vieles wirkt auf den ersten Blick erratisch und immer etwas Dada.
Was Higgs inhaltlich mit seiner durchdringenden Stimme in gedehnter Intonation zum Besten gibt, bezeichnete Anthony Sylvester als „a raw vision of the sacred and the profane, the physical and the metaphysical, The Proterozoic and the Present“ – die Vorstellung einer kosmischen und anthropologischen Heils- und Entwicklungsgeschichte, die zyklische Struktuen andeutet und scheinbar quer durch zahlreiche theologische Systeme ein assoziatives Gewebe knüpft: Die menschliche Seele, „coccooned and shrouded“, ist ein umherirrendes „pilgrim particle“, ein „atom in the void“, geht durch einen Zustand „humbler than vanity“ und fragt sich „how low must we sink“? Doch mit Invokationen wie dem mehrfach wiederholten „Lazarus come out“ geweckt, hat sie die Möglichkeit eines verheißungsvollen Aufstiegs, und es gilt: „human beings are the greatest vessel makers in the entire galaxy“.
Gleichwohl die Zuversicht „nightmares of bliss await you“ eine gewisse Ambiguität einräumt, heißt es unmissverständlich „theres a better world acoming, come and see“. Higgs Vortragsstil hat die seltene Eigenschaft, entspannt und fesselnd zugleich zu sein, und nicht selten haben seine Intonation und sein von markanten Alliterationen untermauerter biblischer Stil einen humoresken, fast schalkhaften Unterton – ganz nach Art des klugen Narren. Genau dies nimmt der Hermetik des Textes einiges an seiner Schwere, verhindert aber auch nicht, dass das orakelhaft Andeutende gepaart mit der oft ins gigantische ausufernden Bildsprache manchmal etwas prätentiös wirkt.
Aber wer weiß, vielleicht verflüchtigt sich dieser Eindruck mit zunehmender Erleuchtung, und die Erfahrung beschenkt den Suchenden dann reichlich mit „milk and honey for the wise“ (U.S.)