M.I.A. ist und bleibt ein zweischneidiges Schwert: Da wäre die revoluzzerhafte Kapitalismuskritik, die sie in ihrem Agit Pop auf weniger subversive als vielmehr durchweg konfrontativ-kritische Art äußert, dass sie schon über die einfachsten Gegebenheiten ihrer Selbstpräsentation stolpern müsste – bei welchem Label sie veröffentlicht, mit welchen Modefirmen sie zusammenarbeitet, der ganze nach Konsum und Markenglamour riechende Exotismus ihres Auftretens u.s.w. Auf der anderen Seite ihre gerade dort garantierte Reichweite, mit der sie, so onkelhaft das klingt, auch die Kids erreicht, die jenseits der Kulturindustrie nicht viel mitbekommen würden. Man kann diesen Zwiespalt nicht völlig ausklammern, doch es muss auch nicht alles damit stehen und fallen, wenn es um die Beurteilung der Musik und ihrer Inhalte geht.
Ihr neues Album hat Matangi Arulpragasam im Vorfeld als ihr letztes angekündigt, und mit einem Titel wie „AIM“ könnte man es auch als eine Art Testament verstehen – nun, ich denke kaum, dass man in Zukunft nichts mehr von ihr hören wird, und betrachte „AIM“ eher als ein Manifest, und als solches transportiert es eine äußerst positive Message, weist in ihren Texten auf das Schicksal der vielen Geflüchteten in der Welt hin und propagiert zugleich den Optimismus, dass es für diese Menschen stets die Chance auf einen Neuanfang gibt. Auch musikalisch, so hört man in Interviews, wollte sie ein weniger hartes und düsteres Klangbild kreiren. Das mag einem angesichts des (durch World Music-Elemente nur leicht aufgeweichten) Electro Clash ihrer bisherigen Alben und ihrem auch inhaltlich aggressiven Rap-Stil wundern, doch schon der Slogan „uniting people since 2003“ spricht nicht ganz zu unrecht für eine Haltung, bei der das Martialische dem „Mach kaputt, was dich kaputt macht“-Prinzip entspricht und einen idealistischen Grundtenor aufweist.
Zum Glück hält sich die positive Stimmung immer noch sehr in Grenzen und lässt z.B. in „Burbs“, ihrem Abgesang auf alle spießigen Vorortbezirke dieser Welt, Raum für brachiale Stakkato-Rhythmen und enervierende Synthies, in „Go Off“ für coole aggressive Raps über einem Loop aus arabischen Saitenklängen, in „Jump in“ für schrillen kratzigen Noise. Für jemanden, der das vom Image und Bekanntheitsgrad her schon nicht mehr nötig hätte, lässt sie sich immer wieder einiges einfallen. Vom Sound her vielleicht einen Ticken spartanischer ausgefüllt, lassen die Tracks all dies markanter wirken. Dies gilt dann auch für einige witzige Spielereien („Bird Song“ zählt auch zu den etwas brachialeren Nummern, aber den Hintergrund bildet infantiles Gezwitscher, und zwischendrin wird auch noch auf einem Kamm gepfiffen), und leider auch für die etwas glatteren, kitschigen Momente, die einige gute Duette und die entspannteren Stücke etwas herunterziehen.
Die Fans werden „AIM“ lieben – für seine musikalischen Qualitäten und sein didaktisches Kravallengagement, und werden ihr dabei auch verzeihen, dass das alles ganz so mutig auch wieder nicht ist, da ihr die Claqueure ja sicher sind. Vielleicht wird sie sich demnächst ja wirklich einmal neu erfinden. An ein Ende ihrer Karriere glaubt ganz sicher niemand. (J.G.)
Label: Universal