Artico Cvlto und Noise Cluster haben gemein, dass es sie in ihren Arbeiten immer wieder in eine diffuse Ferne zieht, in filmreifen Parallelwelten geografischer oder astronomischer Art, Parallelwelten, die auch immer mal aneinander grenzen. Noise Cluster, die neue Band der unseren Lesern nicht ganz unbekannten Römer XxeNa und DBPIT, zog es schon immer in menschenleere Weiten, ins Weltall nostalgischer Scifi-Streifen und in die Tiefen des Meeres. Auf einer Islandreise entstand die Idee zu ihren „White Stories of Black Whales“, und die Leidenschaft für den abgelegenen Inselstaat teilen sie mit den beiden Turinern, die ihr Ambient-Duo gleich nach ihrer Liebe zum Norden benannten.
Die Mini-DVD „Icy Drones“ eröffnet der aktische Kult, dessen Mitglied Stefano Olflorenz auch als Fotograf tätig ist, mit einem achtminütigen Clip zu ihrem Track „Back from The Limbo of the Dead Dolls“. Ein vibrierendes und feinsinnig aufgerauhtes Dröhnen eröffnet die Untermalung schwermütiger Film- und Fotoaufnahmen der Insel, deren Ambiguität wohl am stärksten in der sich auflösenden Landesfahne symbolisiert ist: Der melancholischen Erhabenheit der Landschaften und auch der Menschenwerke wird, wie es scheint, eine große Bewunderung zuteil, und doch erscheint die Gesellschaft hier bestenfalls als sekundäres Phänomen, denn selbst Spuren wie Bauwerke wirken auf eine Weise post-human, die auf den ersten Blick harmonisch, bei längerer Betrachtung jedoch leicht verstörend wirkt. Solche Effekte finden sich mehrfach: in Bildern, deren Bewegtheit erst mit der Zeit auffällt, in der vordergründig so ruhigen, “kosmisch” ausgerichteten Musik, deren Wellen aus Glasperlen für Momente hoch aufgewühlt wirken und stellenweise wie die Vorstufe zu einer noisigen eroption anmuten. Einiges bleibt offen, so der Einbezug in einen Kontext, in dem auch Außerisländisches vorkommt.
Bei Noise Cluster steht die Musik stärker im Vordergrund der Aufmerksamkeit, die visuelle Seite von „Bumpy Road to Hell“ bewegt ich von einem grobkörnigen neorealistich anmutenden Fragment zu einem digitalen Farbenspiel, das an die Grafiken eines Audioplayers erinnert. Ähnlich abrupt wandelt sich die Musik vom flächig dröhnenden Auftakt zu einem dynamisch nach vorn drängenden Sturm aus Rhythmen, die stets eine klare Richtung vorgeben und sich durch diverse Brüche und die Wahrung von Abstraktion doch weigern, in schlichten Rhythm Noise zu münden. Sehr erfreut war ich, das Markenzeichen DBPITs, die Trompete, einmal wieder zu hören – verfremdet, abstrahiert, wie ein liquides Material über die griffige Electronica geschüttet, wobei für Momente der cartoonartige Charme älterer Aufnahmen der beiden aufleuchtete. Zum Schluss wieder das fragmentierte Bild vom Anfang, eine aus dem Bild verschwindende Person. Die Bumpy Road mag an keinen empfehlenswerten Ort führen, aber der Weg dahin lohnt dennoch.
Die eisigen Drones erscheinen (inclusive DL-Code für die anders angeordnete Audioversion) 47 mal in einem von XxeNa stilvoll gestalteten Klappcover – für Artico Cvlto, die hierzulande noch nicht so bekannt sind, ein guter Einstand, und für Noise Cluster ein ordentliches Debüt. Gerüchten zufolge steht da für die nähere Zukunft noch mehr an. (U.S.)
Label: Gatto Alieno