Die Feststellung, dass eine Musik auf Platte oder im Livekontext ein ganz unterschiedliches Erlebnis bietet, ist je nach Beispiel von unterschiedlicher Relevanz. Von Stefan Joel Weiser alias Z’ev gibt es großartige Platten, und doch hat man von seiner Musik nur ein marginales Abbild rezipiert, wenn man sie nur in Zimmerlautstärke und ohne die räumlichen und visuellen Komponenten hört. Dass es dem Perkussionisten seit jeher nicht nur um den Klang seiner in der Mehrzahl metallenen Objekte geht, sondern auch um den Anblick der oft raumgreifenden Gegenstände selbst, ist eine der wesentlichen Aussagen, die der Amerikaner in “Heart Beat Ear Drum” macht, einer so liebevoll wie informativ gestalteten Doku, die gerade – zunächst als limitiertes Pre-Release im Eigenvertrieb der Regisseurin und bald bei einem Label – auf DVD erschient.
Ellen Zweig ist auf kürzere Dokumentarfilme spezialisiert und ihr hauptsächliches Themengebiet ist eigentlich die Volksrepublik China, in vergangenen Filmen hat sie Natur-, Kultur- und Gesellschaftsphänomene des Landes dargestellt. In einem Porträt über eine chinesische Opernsängerin könnte man über die Musik den kleinsten gemeinsamen Nenner zu „Heart Beat Ear Drum“ sehen, denn mit Z’evs Universum verbindet sie vor allem eine jahrelange Freundschaft sowie eine persönliche Faszination für seine Musik. Sieben Jahre lang hat sie den Musiker regelmäßig begleitet, Konzerte besucht und mitgeschnitten, Interviews geführt, doch auch in Archiven gewühlt und zahllose alte Weggefährten und jüngere Fans des Musikers aufgesucht – zum einen auf der Suche nach Input, zum anderen auf der Suche nach älteren Aufnahmen, mit denen sie ihrem Feature einen diachronen Schwerpunkt geben konnte. Dennoch folgt der Film keiner akuraten Chronologie, denn auch wenn die Interviews und Mitschnitte aus den Archiven größtenteils in der ersten Hälfte der Doku zu sehen sind, sind die einzelnen Kapitel nach thematischen Schwerpunkten materieller, geografischer, spiritueller und soziokultureller Art angeordnet.
In einer Vielzahl von Aufnahmen, die den Zuschauer aufgrund der konstanten und stets entspannten Bildfolge trotzdem nicht erschlägt, sieht man Z’ev in seinen längst klassischen Performances, wie er – fast immer mit stoischer Mine und einer Kippe im Mund – seine blechernen Rohre, große Metallplatten, kupferne Genegstände, die von der Form her Becken ähneln und Objekte aus Draht mit unterschiedlichen Drumsticks traktiert oder zusammengebunden in wechselndem Tempo über den Boden schleift. Lebt letzteres von den Dramatik der den Klang begleitenden heftigen Bewegung (und teilweise der Kostümierung des Performers), so gewinnen die Auftritte mit perkussivem Schwerpunkt vom oft imposanten Anblick der Objekte und ihrer installationsartigen Anordung im Raum, der dann auch nicht immer einer klassischen Bühne entsprechen muss.
Z’ev betont an einer Stelle, dass das verwendete Material für ihn niemals nur Schrott ist, auch wenn er die Mehrzahl der Gegenstände auf Deponien oder in anderen Ansammlungen ausrangierter Objekte gefunden hat. Was Z’ev u.a. beabsichtigt, ist die Geschichte dieser Objekte sicht- und hörbar zu machen und sie zugleich aus ihren funktionalen Zusammenhängen zu lösen und ihnen gewissermaßen zu einer neuen Geburt zu verhelfen – ein zweischneidiges Unterfangen, dass sich schon aus der Natur des Materials und seiner Bearbeitung ergibt, da Klang, Rhythmik und Optik untrennbar an den industirellen (oder allgemeiner arbeitsbezogenen) Kontext gekoppelt sind, auf der anderen Seite aber dessen im Arbeitsalltag unterschlagene archaische Seite besonders stark betont. Eine weitere Intention Z’evs zielt dann auch auf einen Aspekt, der jeglicher (auch industrieller) Disziplin entgegengesetzt ist, nämlich die Entgrenzung des menschlichen Körpers in der trancehaften Ekstase. Z’evs Vorstellung einer Koppelung des Industriellen und des Archaischen ist so gesehen diametral zu der eines Vivenza.
Um sein Interesse am Ausrangierten und neu zu Konnotiereden geht es auch in einem eigenen Kapitel über seine Peosie, die er anfangs noch unter seinem bürgerlichen Namen (das Pseudonym Z’ev ist ein hebräischer Männername und bedeutet Wolf) unter dem Einfluss der Kabbala und mit einem ebenfalls stark visuellen Schwerpunkt im Sinne einer konkreten Poesie verfasste. Neben dem Papier dienten ihm ab einem bestimmte Zeitpunkt überwiegend ausrangierte PKW als materielle Träger seiner kryptischen Texte. Viele der Objekte aus Z’evs Repertoire sind außerdem schon insofern Relikte, als sie aus einer früheren Phase der Industrie stammen und im letzten Quartal des 20. Jh. nur noch wenig in Gebrauch waren. Nicht nur so gesehen war Industrial als Musikart im Grunde schon immer Post-Industrial.
Dies sind nun auch Begriffe für bestimmte subkulturelle Communities, die im Film zur Sprache kommen, die aber nicht an erster Stelle das gezeigte Bild des Künstlers prägen. Z’ev war zeitlebens ein Eigenbrötler, der gleichtzeitig an die verschiedensten ästhetischen Millieus andocken konnte, als Interviewpartner und in alten Aufnahmen kommen allerdings (mit Ausnahme von H.A.T.I.) überwiegend Kollegen aus Bereichen wie neuer Musik oder Performance-Kunst zur Sprache, was ein vielleicht etwas einseitiges Bild zumindest der subkulturellen Wahrnehmung des Musikers zeichnen mag. Wenn ich hervorhebe, dass Z’ev eben auch mit Merzbow, Organum, Psychic TV, Simon Ballestrazzi, KK Null, Boyd Rice und anderen zusammengearbeitet hat, soll hier gerade keine Trennung von sogenannter E- und U-Musik vorgenommen werden, schon weil gerade eine Musik wie die Z’evs und nahezu all seiner Kollaborateure ein Musterbeispiel für die Konstruiertheit solcher Trennungen ist. Eine solche Trennung impliziert allerdings, ob gewollt oder ungewollt, gerade der Film, und die weniger akademisch geprägten und feuilletonistisch rezipierten Weggefährten hätten als Beitragende vermutlich noch einmal ganz andere Facetten des Phänomens Z’ev aufgezeigt, was dann im Zusammenspiel mit dem hier ausgewählten Material ein sicher umfassenderen Bild ergeben hätte.
Ziemlich gelungen ist die Darstellung der Person Z’evs, der als origineller, meist etwas introvertierter und zugleich witziger Kauz mit einem etwas an Nosferatu erinnernden Charaktergesicht erscheint, der Kette raucht und zur Zeit der Entstehung des Films in einer seiner Musik ziemlich gut entsprechenden Rumpelkammer mit verwildertem Vorgarten wohnte. Er selbst hat dieses einfühlsame Portrait wohl immer noch nicht gesehen, doch vielleicht hat sich das mitttlerweile auch geändert.
Vertrieb: HEARTBEATEARDRUM