Viel ist bereits geschrieben worden zu den Wandlungen und Transformationen in der Musik von Albin Julius und seinen Mitstreitern, von den kühlen, oft martialischen Soundscapes von Der Blutharsch zum krautigen, auf räudige Art lebensbejahenden Stonerrock von Der Blutharsch and the Infinite Church of the Leading Hand. Es wäre interessant zu erfahren, wie im einzelnen die Fans darauf reagiert haben. Sicher sind einige abgesprungen, viele allerdings freundeten sich mit dem neuen Stil an und haben, einmal Blut geleckt, vielleicht sogar schon die eine oder andere Hawkwind-Platte im Regal stehen. Ganz sicher sind auch neue dazu gekommen, auf der anderen Seite gibt es gewiss auch die, die brav jede neue Scheibe ins Regal stellen und doch nur die alten Sachen hören – wie es bei vielen Bands ist, auch bei denen, die weit weniger markante Veränderungen hinter sich haben.
Ins Abseits gespielt hat sich die Band jedenfalls ganz und gar nicht und kann ganz zufrieden auf das bisher erreichte zurückblicken. Das neue Album mit dem griffigen Titel „Sucht und Ordnung“ hat etwas von einem solchen Zwischenresümee – nicht im Sinne einer ordinären Best of, aber insgesamt lässt man hier, wenn auch nicht immer offensichtlich, einiges aus der jüngeren Vergangenheit Revue passieren, lässt Musikalisches und Textliches aus vorausgegangenen Releases einfließen, integriert das Ganze in ein komplett neues Muster, so dass am Ende ein vollwertiges, wenngleich etwas kurzes Album daraus wird.
„Sucht und Ordnung“ enthält wie „The Wolvennest Sessions“ drei längere Stücke, was man diesmal aber nicht zwingend merkt, denn es gibt mehrere spontane Brüche, die den live im Studio entstandenen Songs eine episodisch anmutende Struktur geben. Ein Mix aus schönen Melodien, die ganz entfernt an Julius’ mittelalterlich angehauchte Musik mit The Moon Lay Hidden Beneath a Cloud denken lassen, kreisende Synthiedrones, viel Hall und ein von Beginn an verspieltes Drumming lassen schon beim ersten der seit längerem mal wieder unbetitelten Tracks den inzwischen vertrauten Sound der Infinite Church erkennen. Der Opener zeigt die Band am ehesten von ihrer Rock’n'Roll-Seite und wirkt – trotz ausladender Gitarren- und Orgelparts – so straight wie selten.
Eher rituell-beschwörend und streckenweise nah am Metal präsentiert sich das zweite Stück, bei dem Marthynna, deren Gesang zuletzt mehr und mehr zu einem zentralen Teil der Musik wurde, auf eindringliche Art den Genesis-Text über den Baum der Erkenntnis vorträgt, der schon im Zentrum der Kollaboration mit Josef Dvorak und Fuckhead stand. Man muss ein Faible für solch hexige Vocals haben, meines Erachtens hat Marthynna ihren großen Auftritt eher beim dritten Stück, das neben hypnotischen Orgeln und einem straighten Rocksound auch den Text von „Today I Want to Catch Clouds“ erklingen lässt. Dem Stück, dass auf der Split mit White Hills und der gleichnamigen Remix-Sammlung zu hören ist, steht die kernige, saubere und zugleich verspielte musikalische Gewandung gut zu Gesicht – schnell entpuppt es sich als Ohrwurm, den man in Dauerschleife hören kann, was dann auch für die relative kurze Spieldauer des Albums entschädigt. (U.S.)
Label: WKN