Es gibt immer wieder Spezialisten, die jede leidenschaftliche Hinwendung zu ungewohnten Kulturpraktiken aus geografisch fernen Ecken generell als Exotismus betrachten. Das ist natürlich ebenso klug wie zu behaupten, Industrial sei generell dystopisch und Folk generell konservativ. In Wirklichkeit ist Exotismus erst dann gegeben, wenn das Interesse auf naiven Projektionen, auf der fantasiegesteuerten Aneignung des Fremden mit den Augen des Völkerschaubesuchers beruht. In diesem Fall geht es auch nur zum Schein um eine Annäherung, denn das Fremde soll v.a. als solches bestehen bleiben.
In den vielen kreativen Auslotungen des Fremden oder Exotischen sind besonders diejenigen Arbeiten interessant, die den fantasievollen Blick des mondofilmbegeisterten Teenagers mit einem empathischen Wissensdrang kombinieren. Oft bleibt das Fremde in diesen Werken gewahrt, man betont bewusst Verstehensbarrieren und gibt dem Inhalt auf humorvolle Art eine eigene Würde. Man findet diesen Gestus z.B. in einigen Filmen Pasolinis, in der Musik fallen einem vielleicht als erstes die Sun City Girls ein. In deren Spuren wandelt zum Teil auch das texanische Kollektiv Ak’chamel, vormals The Giver of Illness, das gerade ein neues Tape auf ArteTetra draußen hat.
Mit authentischer Lo-Fi-Dumpfheit, dem Mut zu markanten Kontrasten und einem guten Händchen nicht nur für tolle Melodien, sondern auch für ungewohnte Klangkombinationen, verbraten die anonymen Bastler etliche Versatzstücke aus mehreren Kontinenten: Amerikanische Twangs erinnern an Surfrock und Texmex und sorgen für cooles Wüstenflair, für Trost und Labsal dagegen sorgen folkige Zupfgeräte und entrückte Flöten aus Regionen von Nordafrika bis Japan. Bei manchen Tracks treiben entspannte Handdrums die Musik subtil voran, manchmal meint man, irgendwo versteckt die tiefen Seiten eines Pianos zu orten, und alles scheint irgendwie minimal elektrifiziert.
Von leichten Dub-Anleihen abgesehen, die vorübergehend für luftige Entspanntheit sorgen, ist die schwüle Atmosphäre doch meist eher dunkel, die Exotik rituell. Ein bei aller Lo-Fi-Qualität beeindruckend feinsinniges Amalgam aus durchmischten Stimmen und Geräuschen eines imaginären, orientalischen Grenzlandes trägt dazu bei, und die oft dumpf in den Hintergrund gemischten Murmel-Vocals und die Loopstruktur lassen dabei sogar an Bands wie Novy Svet und Futeisha denken – das Label namedroppt an der Stelle Popol Vuh und Jean Dubuffet sowie Jodorowski, in dessen Filmen tatsächlich nicht nur die Plots und Settings, sondern auch die Musik dunkle, mystische Exotica anklingen lässt.
Wer dem Fremden weder überzuckert, noch misstrauisch, noch brottrocken begegnet, der verfügt schon über das Ak’chamel-Minimum. Wer überdies gerne das Feinsinnige im Groben sucht und v.a. auch findet, der sollte sich dieses Tape nicht entgehen lassen. (U.S.)
Label: ArteTetra