Das Konzept ist hinlänglich bekannt: Ein Mensch nimmt einen Block und ein Schreibwerkzeug zur Hand und lässt seinen Assoziationen freien Lauf, lässt Ausdrücke, Formulierungen und sprachliche Bilder wie von selbst aus sich herausfließen, ungeachtet sprachlicher Korrektheit, inhaltlicher Logik und konzeptueller Stringenz. Écriture automatique, automatisches Schreiben, nennt man diese Praktik, die im späten 19. Jahrhundert zunächst im Rahmen der Psychotherapie entwickelt wurde, und eine Generation später durch Surrealisten wie André Breton Einzug in die Literatur fand. Die Bewusstseinströme, die so entsprangen, konnten es nicht alle mit der beeindruckenden schönheit des Monologs gegen ende von James Joyce’ Ulysses aufnehmen, der einen solchen Vorgang nur wohlüberlegt simuliert.
Ich erwähne Joyce an der Stelle nicht ohne Grund, denn als der polnische Musiker Mirt im letzten Jahr das Album „Vanishing Landscape“ herausbrachte, präsentierte er so etwas wie die Simulation eines musikalischen Bewusstseinsstroms: unterschiedlichste Feldaufnahmen, Ausschnitte komponierten und improvisierten Materials zu einer Kollage mit teils unerwartbaren Brüchen montiert, all dies jedoch sorgsam auf eine passende Struktur hin verknüpft. Erst beim gerade erschienenen Nachfolger geht Mit alleatorisch zu Werke, lässt Material aus einem großen Pool wie zufällig miteinander interagieren.
Das Gros des verwendeten Materials besteht aus gesampelten Geräuschen und improvisierter, teils dröhnender Synthiemusik, zum Teil auch aus akustischen Instrumenten, doch oft kann man die Klangquellen auch nur bedingt zuordnen. Gequassel, Gerassel und Gepolter erscheint auf dem Plan, doch die Musik bewahrt meist ihre flächige Struktur (beim Nurse With Wound-artigen Straßenlärm in „Michael’s theme“ und „Rush on south“ funktioniert auch dies dann nicht mehr). Vieles darin verschwimmt miteinander zu flüchtigen Formen, löst sich auf und gebiert gleich wieder neue Strukturen. Sucht man darin eine Richtung, ein lineares Narrativ, dann stellt man schnell fest, dass vieles nur eine Vorstufe zur nächsten Vorstufe ist – zumindest über weite Strecken, denn das sogenannte „Main Theme“ gegen Ende wirkt schon wie ein musikalischer Kulminationspunkt. Doch letztlich steht auch hier dem hellen Sound ein Gefühl der Spannung entgegen.
Bis dahin aber ist es ohnehin noch ein weiter Weg, auf dem technoide Rhythmuspassagen auftauchen um wieder in der Versenkung zu verschwinden, laute und leise Passagen wechseln sich ab und künden vom steten Wechsel. Sehr raumorientiert sind viele Passagen, besonders jene voll verfremdeter Naturgeräusche, die mit musikalischen Bauformen verschmilzen. Das alles ist bislang nicht allzu spektakulär und vom Ergebnis her fast Standard in vielen Werken der Geräuschmusik, doch Mirts Alleinstellungsmerkmal ist die gelungene Kombination aus spontaner Sequenzenfolge und einer durchgehend filmischen Qualität, die sich sowohl dem Einsatz der Geräusche als auch der Kunst des Raumklangeffekts verdankt. (A. Kaudaht)
Label: Kosmodrone