Im Rahmen einer Compilation ein umfassendes Bild von jemandem wie Marc Almond zu zeichnen, ist bei der Größe und Vielfalt seines Outputs kaum möglich. Will man zumindest einen Überblick über seine Karriere geben, so kann, je nachdem wer sich dessen annimmt, etwas ganz unterschiedliches dabei herauskommen. Da wäre Marc Almond als schwarzromantischer Exzentriker mit einem Faible fürs Okkulte, für’s Queere und Abseitige, ein melancholischer Dandy, der wie kaum sonst jemand demonstriert, dass die New Wave-Phase um 1980, zu der er mit seinem Duo Soft Cell fraglos zählte, auch ein Revival der Decadénce des Fin de Siecle war.
Ein Musiker abseits der ausgetretenen Pfade, der bei Psychic TV und Coil, später bei Current 93 und X-TG mitsang, und dessen Songs immer wieder den Wahn („Martin“, „Madame de la Luna“), die obsessive Liebe („Bedroom Shrine“) das Scheitern („Champaign“, „Lonely Go-Go-Dancer“, „Cabaret Clown“), Tod und Vergänglichkeit („Death’s Diary“, „Swan Song”), Narzissmus („Sex Dwarf“, „The Champion“), Abhängigkeit („The Heel“, „Scar“), Illusionen („Idiot Dancing“) und Regression („Mother Fist“, „Under Your Wing“,) besingen und all dem immer wieder ein ambivalentes Denkmal setzen, das Leid, Scham und Faszination zugleich anklingen lässt, aber auch immer wieder – in späteren Jahren auf betont liebevolle Art – zur Selbsterhebung der und des Abseitigen („Beautiful Losers“, „The Exhibitionist“) aufruft.
Es ist im großen und ganzen auch dieser Marc Almond, der trotz seiner eigenen Songwriterqualitäten mit der Erfucht, die großen Charakteren eigen ist, die Texte anderer singt und ganze Alben beispielsweise französischen und russischen Songs in englischen Übersetzungen widmet, nicht zu vergessen auch sein Interesse an Dichtung und Literatur, freilich auch meist obskurer Art, was sich in den letzten Jahren v.a. in Alben wie „Feasting With Panthers“ (mit Michael Cashmore) und der Huysmans-Hommage „Against Nature“ (Mit Jeremy Reed und Othon Mataragas) abzeichnete.
Daneben – und freilich kann man das nicht vollkommen voneinander trennen – gibt es den Popstar Marc Almond, der von vielen, die ihre Jugend in den 80ern erlebten, noch heute mit wavigem Synthiepop und Hits wie „Tainted Love“ in Verbindung gebracht wird, und dessen berühmtes Duo mit etwas mehr Glück und Zusammenhalt vielleicht einmal eine stadionfüllende Karriere hingelegt hätte. Dieser Marc Almond mit seiner maniriert-eleganten Stimme bringt seit bald vierzig Jahren auf jedem Album ein paar Songs unter, die man nach wenigem Hören auswendig mitsingen kann, und die man aufgrund ihrer eingängigen Melodien kaum mehr aus dem Kopf bekommt. Es ist auch v.a. dieser Marc Almond, den die unfallbedingte Pause zu Beginn des Millenniums so sehr aus der Bahn gehauen hat, der aber seit Jahren, ganz ohne begleitende Hipsterei, ein mehr als solides Comeback inklusive Mojo-Award feiert.
Man könnte bei einem repräsentativen Überblick versuchen, diese beiden Hauptstränge irgendwie unter einen Hut zu bringen, bei einer Compilation, die dem Titel nach schon eine Auswahl der größten Hits ist, darf das Pendel gerne mehr in Richtung der zweiten Kategorie ausschlagen. „Hits and Pieces“ jedoch, mit dem Universal an die dicke „Trials of Eyeliner“-Box anknüpft, konzentriert sich nahezu ausschließlich auf den populären, radiotauglichen Aspekt seiner Musik und bietet mit dem diachronen Abriss seit der Soft Cell-Zeit quasi Marc Almond light.
Das heißt nicht, dass die Wahl hier auf schlechte Songs gefallen wäre, und ich wüsste auch nicht, welche das dann sein sollten. Dass „Tainted Love“, einer der meistgecoverten Songs „der Achziger“, selbst ein Gloria Jones-Cover ist, sollte sich mittlerweile bis in die letzte Kirmesdisko herumgesprochen haben. Die anderen Soft Cell-Stücke (u.a. „Memorabilia“, „Bedsitter“, „Say Hello Wave Goodbye“, „Torch“, „Where The Heart Is“), die hier ungefähr die Hälfte der ersten CD bestreiten, verdeutlichen ebenso, wie sehr der Synthiepop seines Duos mit Dave Ball auch von Soul, Disco und dem, was man heute Black Music nennt, beeinflusst war. Auf forsche Art und immer nah am Camp enthalten die Songs schon im Kern all die typischen Almond-Themen um Liebe, Wahn und Magie. Es wird vielleicht immer ein Geheimnis bleiben, wie sehr Ball an der Aura der Songs beteiligt war, ganz sicher war der betont unglamouröse, trockene Synthiefreak mehr als nur ein Techniker, der seinem Kollegen, der Diva mit Stirnband oder im Kaiser Nero-Look, das entsprechende Forum gebaut hat.
Nach einem seiner bekanntesten Duette – „I Feel Love“ mit Jimmy Summerville – gibt es einen kurzen Abstecher zu Marc and the Mambas, die den Übergang zum Solowerk bestreiten: „Black Heart“ ist einer seiner typischen Songs und repräsentiert erstmals Almonds an Chanson und mediterraner Folklore orientierte Seite, in dem Fall mittels feurigem spanischen Kolorit im simplen Synthiegewandt mit Saxophon und filmreif aufjaulenden Violinen. Mit „Stories of Johnny“, „Melancholy Rose“, „Tears Run Rings“ und „Ruby Red“ folgen einige der eingängigsten seiner melodramatischen Perlen, sein zweitgrößter Hit darf an der Stelle natürlich nicht fehlen: „Something’s Gotten Hold Of My Heart“ von und mit Gene Pitney, das ein von Vergänglichkeit verdorbenes und dennoch wunderschönes pastorales Märchenland ausbreitet und für viele, die bei Soft Cell noch zu jung waren, den Auftakt einer treuen Fankarriere bot.
Mit „The Desperate Hours“, „My Hand Over My Heart“, „Jacky“ als einziger (und leider der untypischsten) Brel-Interpretation, David McWilliams’ „The Days Of Pearly Spencer“ und einer Live-Version von „What Makes A Man A Man“ wird die Reihe an Hits auf der zweiten Seite erst einmal weitergeführt. Danach folgen Stücke ab Mitte der 90er, als die Spotlights vorübergehend etwas gedämpfter waren, so die Upbeat-Nummer „Adored and Explored“ und das rockige „The Idol“ vom bei Fans und Presse zwiespältig aufgenommenen „Fantastic Star“-Album. „Tragedy (Take A Look And See)“ und „Glorious“ stehen für die Phase, in der er kurzzeitig mit Triphop liebäugelte. Vom „Varieté“-Album ist leider nur der Titelsong vertreten, und überhaupt ist die Zeit unmittelbar nach seinem Comeback, zu der auch die Alben „Stardom Road“, „Orpheus in Exile“ und „Feasting With Panthers“ gehören, schmerzlich unterrepräsentiert.
Das euphorische „The Dancing Marquis“ vom gleichnamigen Longplayer und zwei Songs von „The Velvet Trail“ repräsentieren die unmittelbare Gegenwart, die von einem noch exklusiven Stück, dem frohsinnigen „A Kind Of Love“ gekrönt wird – sehr Late 70s bietet der Song und das Video dazu ein gelöstes “Disco meets Flower Power”-Feeling. Manche stört das überschminkte Auftreten des immer noch wie ein Mann in den Zwanzigern singenden Sängers, und ich musste an die Zeilen aus „Cabaret Clown“ denken: „And what the hell did you do with your face, can’t you let in the grey and grow old with grace?“ Aber ihm scheint es dabei gut zu gehen, und letztlich: Selbst wenn Almond die Würde mal kurz an der Garderobe abgibt, macht er selbst dies noch mit Stil. Den Schlusspart übernimmt noch einmal „Tainted Love“ als Livetrack mit Jools Holland and the Rhythm & Blues Orchestra im Latenight Revue-Stil.
Wie gesagt, die Sammlung hätte die „transgressive“ und weniger poppige Seite Marc Almonds nicht derart ausklammern müssen, und ein paar der dunklen Chansons und der sleazigen Sea Shanties, die sich in seinem Werk immer wieder finden, hätten auch hier ihren Platz gefunden. Als Hits-Sammlung allerdings funktioniert die Platte, präsentiert gute Songs, und mehr will sie auch nicht. (U.S.)
Label: Universal