In den letzten Jahren sind im Folkbereich immer mehr Künstler aufgetaucht, denen man gegönnt hätte, schon vor gut zehn Jahren dabei gewesen zu sein, als der Fokus einflussreicher Medien, Labels etc. vermehrt auf solche Musik gerichtet war und im Zuge dessen nicht immer nur die talentiertesten und originellsten Acts groß geworden sind. Etwas später, im Zeitalter der sozialen Netzwerke und Streaming-Plattformen, herrschte schon bald ein solches Überangebot an auch derartiger Musik, dass man einige interessante Projekte leicht übersehen konnte. Ein hierzulande bislang wenig beachtetes Projekt ist die aus Chicago stammende Band Constantine, die vor einigen Jahren im Umfeld des lokalen Psychedelic-Kollektivs O.W.L. (Of Wondrous Legends) entstanden ist.
Obwohl der Name des Sängers Constantine Hastalis namensgebend war, ist Constantine spätestens seit Ende des Vorgängerprojektes Constantine & The Emperors keineswegs nur ein Soloprojekt mit Begleitung, sondern eine gut eingespielte Band, die mit einer Vielzahl an gut auf einander eingespielten Instrumente aufwartet. Neben verschiedenen Gitarren und Bass, Orgel, Piano und elektronischen Keyboards und natürlich Drums ertönt hier mit Mandoline, Bouzouki, Sitar, Tabla und diversen Holzblasinstrumenten so einiges, das man auch auf Folkplatten nicht alle Tage in solcher Üppigkeit zu hören bekommt.
Musikalisch rangieren Constantine irgendwo zwischen sanftem Psych Folk, experimentierfreudigem Ethnosound und Prog Rock-Anleihen, und dabei klingen sie stellenweise, als seien die großen Tage der Trees und der Incredible String Band oder von Bands wie Embryo und Aktuala erst gestern zuende gegangen. Auf ihrem Album „Day of Light“, das über einen Zeitraum von fast fünf Jahren entstanden ist, lassen sich schnell zwei Richtungen ausmachen, die sich stets abwechseln und wohl nur deshalb nicht auf einzelne Songs verteilt sind, weil die meisten Stücke ohnehin einen sehr wandlungsreichen Charakter haben und immer mal wieder ihren Kurs ändern.
Was Constantines Musik in Spannung hält, ist das ständige Wechselspiel einer filigranen, oft romantisch-eskapistischen Tendenz mit einer kraftvollen, entgrenzten Seite. Auf Stücken wie „(Into the Land) that Time forgot“, dessen erster Teil als Intro fungiert, dem Interludium „Song of the Seven Willows“ oder Stücken wie „Fountains/Reflection“ und „Voyage of the Crystal Bird“ entfalten sie Szenarien von luzider Klarheit – besinnliches Finger Picking, das von In Gowan Ring stammen könnte, und stimmungsvolle Duette des Frontmanns mit Sängerin Jen Williams geben dem Settings eine pastorale Note, chorartiger Harmoniegesang und Brüche im Tempo sorgen für Abwechslung. Hier und da anklingende Spieluhren tauchen das Szenario in eine kindlich anmutende Traumsphäre, aus der einen nur das fetzige orientalische Strumming auf einer klassischen Klampfe reist.
Im eingängigen „Voyage of the Crystal Bird“ mit seinem fast hymnischen Gesang bekommt all dies fast poppige Qualitäten, um einiges komplexer dagegen sind diejenigen Songs, die eindeutig in Richtung Rock gehen. „The Trip“ wartet mit Schweinorgel und elegant-verspielten Drums auf und ist nicht nur Seventies-Retro pur, es zeigt die Band auch von einer gelegentlich an Hawkwind und frühe Pink Floyd erinnernden Stoner-Seite. Wenn mit dem Slogan „step inside into the church of your mind“ ein surrealer Fantasieort bereist wird, der auch seine Gefahren birgt, braucht man nur etwas Fantasie und einschlägige Erfahrung, um sich das passende vorzustellen. Irgendwo zwischen Woodstock und Altamont geht die Reise in Siebenmeilenstiefeln weiter bis in den mystischen Orient des relaxten Downtempo-Psychrock von „Egyptian Days“, das mit seinen Tremolos und der verfremdeten Stimme ein zweites Highlight darstellt.
Constantine verstehen ihre vielen Rückgriffe auf bekannte und teilweise vergessene Traditionen und Spieltechniken nicht nur als Reise im Raum, sondern auch in der Zeit, und „On Trough The Ages“, das sehr an Fairport Convention (aber auch an die etwas rockigeren Arbeiten von Ex Reverie und Rusalnaja) erinnert, und bei dem Jen ihren größten Moment hat, thematisiert dies direkt: In der posthistorischen Welt des Songs ist die Zeit längst zu einer steinernen Materie geronnen, auf der man als einsamer Wanderer von Epoche zu Epoche klettern kann. Das passt ganz gut zu der Herangehensweise, aber auch zur Stimmung auf „Day of Light“ – Constantine scheinen in der Zeit wie in einem Buch zu lesen, in das man wie in einen Schonraum fliehen, aus dem man aber auch mit vielen reichhaltigen Inspirationen gestärkt wieder zurückkehren kann. Das dies sich lohnt kann man nicht nur auf Platte, sondern auch auf den üppigen Konzerten der Band hören. (U.S.)
Label: Guerssen Records / Eye Vybe Records