Wenn man bisher etwas über ZU zu lesen bekam, war meistens von einem sehr wilden, oft tonnenschweren Hybrid aus Jazz, Metal und allem, was auf -core endet, die Rede, und bei Vergleichen war man schnell bei Gruppen wie Painkiller und Naked City. Dazu passt auch die Mutmaßung, das die Band sich einst nach einem Song von James Plotkins Grindcore-Kapelle Old Lady Drivers benannt haben soll. Befasste man sich etwas genauer mit dem Werk der Italiener und hörte sich auch die Kollaborationen an, dann registrierte man schnell, dass die Gruppe sich nur bedingt auf ihre harsche, entgrenzte Seite reduzieren ließ. Auf „Jhator“ sind ZU jedoch weiter von den oben genannten Begriffen entfernt als je zuvor und verzichten mit dem Saxophon, das Luca T. Mai gegen das Mikrofon eingetauscht hat, auf das Element, das für die hartnäckigsten Jazzvergleiche sorgte.
Der Begrif „Jhator“ bezeichnet im Tibetischen eine traditionelle Bestattungstechnik, bei der die Körper Verstorbener in Stücke zerschnitten und auf einer Bergkuppe den Elemente und wilden Tieren, primär Raubvögeln, überantwortet werden, die wörtliche Übersetzung des Begriffs lautet „den Vögeln Almosen geben“. Man betrachtet die Vögel als Manifestationen von Dakinis, halbgöttliche Wesen weiblichen Geschlechts, die die Seelen der Verstorbenen – symbolisch in Form von Teilen des Körpers – in den Bardo tragen, in dem sie bis zur Wiedergeburt verweilen. Das die erste Seite füllende Stück heißt dann passenderweise auch „A Sky Burial“.
In den gut zwanzig Minuten des Stücks wird dieser Brauch, eingerahmt durch einen eröffneten und einen abschließenden Gongschlag, mit einer Vielzahl an Elementen ritueller Klangkunst musikalisch vergegenwärtigt. Längere Phasen relativer Stille nach dem Verrauschen der eröffnenden Gongklänge ermöglichen Konzentration, subtile Details wie leises Vogelzwitschern und kleine, undefinierbare Sounds lassen eine Erwartungshaltung entstehen, die wächst, sobald sich die Elemente verdichten. Schon bald kristallisiert sich das flächige Kreisen einer Drehleier heraus, deren kraftvoller, dudelsackartiger Klang etwas Starkes zu untermalen scheint, das vage bleibt und keiner erklärenden Worte bedarf. Im Laufe der Zeit und nach dem einen oder anderen Bruch wird die Musik zunehmend melodischer, metallene Geräusch werden immer mehr von einem Bandsound aus Bass, Drums und Streichern absorbiert, der an die Kollaboration des Bassisten Massimo Pupilio mit Oren Ambarchi erinnet und bei bei dem man um einen profanen Begriff wie Postrock nicht verlegen sein muss.
„The Dawning Moon Of The Mind“ ist um einiges unaufgeräumter als „A Sky Burial“, aber nicht minder erhaben. Die ersten Minuten sind vom Saitenspiel einer Koto dominiert, einem japanischen Instrument, das klanglich der Harfe ähnelt. Dröhnt es im Hintergrund kreisend, werden die Figuren auf dem Instrument immer schneller, rhythmischer, erinnern stellenweise an die Ornamente der Continuous Music. Obwohl sich die Musik in Dichte und Intensität kontinuierlich steigert, mag man den Übergang zum eruptiven Kraut- und Metal-Gedresche immer noch als plötzlich empfinden, und so schnell die angestaute Spannung sich entladen hat, so schnell mündet der Fluss der Klänge in ein entspanntes, dunkles Dröhnen, gekrönt vom lautmalerischen Schamanengesang Luca T. Mais.
Begreift man „Jhator“ primär im Vergleich mit früheren Arbeiten ZUs, fällt die Abwendung vom Noise und allerhand atonaler Strukturen am ehesten ins Auge – dies aber auf die Gefahr hin, dass einem wesentliche Merkmale des Albums entgehen. „Jhator“ ist von einer rituellen Tiefe, die gekonnt zwischen geerdeten und abgehobenen Stimmungslagen zu changieren weiß und im Werk der Band eine bisher unerreichte Qualität darstellt. (U.S.)
Label: House of Mythology